Nadine Schöneck-Voß
Kategorie: Bildung, Forschung & Lehre
Professorin für Soziologie und Empirische Sozialforschung

Nadine Schöneck-Voß

Nadine Schöneck-Voß hat seit 2016 die Professur für »Soziologie und Empirische Sozialforschung« am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Niederrhein inne.

Wie haben Sie zur Soziologie gefunden?

Ich entschied mich Mitte der 1990er Jahre zu einem Studium der Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), weil mein damaliger Brieffreund „Sowi“ an der RUB studierte – ein Beispiel dafür, dass selbst einer biografischen Hochkostensituation, wie sie die Studienfachwohl darstellt, nicht immer vernunftgesteuerte Abwägungen vorangehen und irrationale Motive entscheidungsleitend sein können…

Allerdings erkannte ich sehr bald, dass ich besonders großes Interesse an Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft hatte. Während des Grundstudiums überlegte ich daher, das Studienfach zu wechseln. Dazu hätte ich allerdings die RUB verlassen müssen, weil dort ausschließlich der integrative Studiengang Sozialwissenschaft angeboten wurde (in diesem waren neben Soziologie zu ähnlichen Anteilen auch Politikwissenschaft, Sozialökonomik/-politik, Sozialpsychologie sowie sozialwissenschaftliche Methodenlehre und Statistik zu studieren). Da ich Bochum und die RUB jedoch sehr mochte und das Studienjahr 1999/2000 an der University of Texas at Austin verbringen wollte, entschied ich mich, bei „Sowi“ an der RUB zu bleiben. Im Herbst 2001 folgte dann noch ein Trimester an der University of Oxford.

Nach meinem Diplom im Sommer 2003 wechselte ich aber – endlich! – in meine akademische Lieblingsdisziplin, die Soziologie: Ich verbrachte meine Promotionsjahre bei Uwe Schimank an der FernUniversität in Hagen; zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem zweijährigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt („Inklusionsprofile – eine differenzierungstheoretische Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik Deutschland“), anschließend knapp vier Jahre als Lehrgebietsmitarbeiterin.

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Wie ist Ihre bisherige Karriere weiter verlaufen?

Bis zum Vordiplom im Sommer stand für mich das Berufsziel „Forschung & Lehre“ keineswegs fest. Aus diesem Grund absolvierte ich nach drei ersten Praktika zu Schulzeiten (bei der Japan Airlines in Frankfurt/Main, bei Willy Bogner in München und bei der Werbeagentur K,N,S in Hamburg) zwei weitere während des Grundstudiums: bei 3sat in Mainz und beim einstigen Deutschen Sportfernsehen (DSF) in Ismaning bei München. Darüber hinaus arbeitete ich während meiner Studienzeit als studentische Hilfskraft in der empirischen Sozialforschung und der Soziologie.

In der Retrospektive würde ich sagen, dass meine Erfahrungen als studentische Hilfskraft und mein Auslandsstudienjahr an der University of Texas at Austin mir klarmachten, wie viel Freude ich an wissenschaftlichen Fragen und wissenschaftlichem Arbeiten hatte. Gegen Ende meines Studiums war ich – ermutigt durch einen ersten Preis beim von der Hamburger Körber-Stiftung ausgeschriebenen „Deutschen Studienpreis“ (2002) – entschieden und motiviert, im Jahr darauf eine soziologische Dissertation in Angriff zu nehmen.

Im Januar 2009 wurde ich an der RUB mit einer zeitsoziologischen Arbeit („Zeiterleben und Zeithandeln Erwerbstätiger. Eine methodenintegrative Studie“) promoviert. Im Februar 2016 schloss ich meine kumulative Habilitation an der Universität Bremen, wo ich knapp sieben Jahre als Post-Doktorandin arbeitete, ab. Zum Sommersemester 2016 folgte ich dem Ruf auf eine Professur für Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Hochschule Niederrhein.

Sie lehren an einer FH. Wie unterscheidet sich das zu einer Universität? 

Als Soziologin an einer FH biete ich Lehre in der Soziologie und der empirischen Sozialforschung für Studierende an, die nicht Soziologie, sondern ein anderes Studienfach studieren. An der Hochschule Niederrhein sind das die drei Bachelorstudiengänge „Soziale Arbeit“, „Kulturpädagogik“ und „Kindheitspädagogik“ sowie die zwei konsekutiven Masterstudiengänge „Soziale Arbeit – Psychosoziale Beratung und Mediation“ und „Kulturpädagogik & Kulturmanagement“. Soziologie stellt für meine Studierende – anders als für Soziologiestudierende an Universitäten – lediglich eine sogenannte „Bezugsdisziplin“ dar (weitere Beispiele für solche „Referenzwissenschaften“ sind etwa Psychologie, Betriebswirtschaftslehre, Ethik, Erziehungs-, Rechts- und Politikwissenschaften).

Daraus folgt, dass die meisten meiner Studierenden meine Begeisterung für die Soziologie – nachvollziehbarerweise – nicht teilen. Manchmal muss ich mich sogar für das, wofür ich fachlich stehe, rechtfertigen. Das ist in der Tat ein nennenswerter Unterschied zur Soziologielehre an Universitäten vor angehenden Soziolog*innen: Hier dürfen Sie im Allgemeinen unterstellen, dass Ihre eigenen fachwissenschaftlichen Interessen und jene Ihrer Studierenden weitestgehend kongruent sind.

Wie sieht Ihr typischer Tag aus? Womit verbringen Sie die meiste Zeit?

Ich bin seit Studienzeiten eine überzeugte Frühaufsteherin. Mitunter beginnt mein Arbeitstag um 3.15 Uhr, denn ich schätze es sehr, den Arbeitstag mit eigenen (Forschungs-)Anliegen zu beginnen. Wenn ich nicht (wie gegenwärtig angesichts der COVID-19-Pandemie) im Homeoffice arbeite, breche ich gegen 5.40 Uhr zur Arbeit auf, da ich einen längeren Arbeitsweg habe.

In Anbetracht der Tatsache, dass mit einer FH-Professur ein hohes Lehrdeputat (welches im Regelfall bei 18 Semesterwochenstunden liegt) verbunden ist und Sie daher insgesamt sehr viele Studierende zu betreuen haben, ist ein typischer Arbeitstag durch viel Lehre, entsprechende Vor- und Nachbereitungen sowie Betreuungen von Studierenden geprägt.

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Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Job?

Die fünf größten Herausforderungen meines Jobs als Professorin für Soziologie und Empirische Sozialforschung zeigen sich meiner Meinung nach im Vergleich zu den Forschungs- und Lehrbedingungen von Kolleg*innen auf Universitätsprofessuren.

Erstens: Als Soziologie-Professorin an einer FH lehre ich – diese Herausforderung sprach ich bereits an – nicht vor angehenden Soziolog*innen. (Mir ist keine FH bekannt, an der Soziologie als Bachelor- oder Masterstudiengang studiert werden könnte.) In diesem Zusammenhang sei noch ergänzt, dass ich als Soziologin auf einer FH-Professur thematisch verhältnismäßig breit aufgestellt sein muss: Während es zumindest an einem großen universitären Institut für Soziologie mehrere Professuren für verschiedene „Bindestrich-Soziologien“ gibt und Sie damit spezialisiert sein können, decken Sie an einer FH tendenziell weitere Bereiche der Soziologie ab – und übernehmen möglicherweise auch die Lehre in empirischen (quantitativen und qualitativen) Forschungsmethoden.

Zweitens: Das ebenfalls bereits erwähnte hohe Lehrdeputat reduziert zwangsläufig meine Forschungskapazitäten. Wenn ich dennoch möglichst viel forschen möchte, komme ich kaum umhin, dies in den frühen Morgenstunden, an den Wochenenden und im Urlaub zu tun.

Drittens: Ich verfüge über deutlich weniger personelle Unterstützung. Sofern Sie keine Drittmittel einwerben, haben Sie normalerweise keine wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und werden auch nur durch wenige wöchentliche studentische Hilfskraftstunden unterstützt (in meinem Fall sind es vier SHK-Stunden/Woche, die vornehmlich in die Organisation der Lehre fließen).

Viertens: Meine Forschungsbedingungen sind vergleichsweise eingeschränkt, was insbesondere damit zusammenhängt, dass FHs häufig kleinere Bibliotheken und geringere Etats für den Erwerb von Lizenzen für online verfügbare Fachzeitschriften haben.

Fünftens: Wenn Sie forschungsaffin sind und Ihre Arbeitsschwerpunkte stärker in der soziologischen Grundlagenforschung angesiedelt sind, vermissen Sie eventuell enge Austauschmöglichkeiten mit fachspezifischen Kolleg*innen, weil das Kollegium an einem Fachbereich Sozialwesen (wie beispielsweise jenem, dem ich angehöre) fachlich ausgesprochen heterogen ist und zudem primär anwendungsorientiert arbeitet. Da Sie als Soziolog*in typischerweise vor Ihrer FH-Professur an einer Universität tätig waren, mögen Sie vielleicht den Kontakt zu Ihren früheren Kolleg*innen aufrechterhalten – so halte ich es bislang.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?

Trotz der genannten – zugegebenermaßen keineswegs leichtgewichtigen – Herausforderungen bietet mir selbst eine FH-Professur ein gewisses Maß an Eigenständigkeit, d.h. im Rahmen meiner Lehre und Forschung bin ich einigermaßen frei.

So konnte ich beispielsweise im vergangenen Jahr gemeinsam mit einer Kollegin einer Universität ein DFG-Projekt („Akademisch Beschäftigte ‚in Bewegung‘: Eine methodenplurale Untersuchung des Zusammenhangs von sozialer und räumlicher Mobilität in der Wissenschaft“) einwerben – ein Thema, das mich sehr interessiert.

Was empfehlen Sie Studierenden, die sich für eine Stelle als Soziolog*in an einer FH interessieren?

Wenn Sie im Lauf Ihres Studiums der Soziologie und einer anschließenden Promotion (diese ist auch für eine FH-Professur Voraussetzung) großes Interesse vorzugsweise an mikrosoziologischen Fragestellungen entwickelt und zudem keine Berührungsängste zu sozialen Problemen haben, könnte eine FH-Professur an einem Fachbereich Sozialwesen eine durchaus attraktive Option für Sie sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Veröffentlicht am: 20. Februar 2021