Phillip Struck
Foto: Marc Thürbach
Kategorie: Privatwirtschaft
Agile Coach

Phillip Struck

Phillip Struck arbeitet seit 2018 als Agile Coach bei der Digitalagentur brandung GmbH in Berlin. 

Wie sind Sie Soziologe geworden? 

Das war mehr oder weniger Zufall. Nach dem Ende meines Zivildienstes 2010 hatte ich die vage Idee, irgendwas Soziales zu machen - auch eher aus der Not heraus geboren, dass meine Eltern mich permanent gefragt haben, was ich denn nun mit meinem Leben anfangen möchte. (Randnotiz: ich habe nebenbei noch in einem Sportschuhgeschäft ausgeholfen, eine nicht wirklich zukunftsträchtige Perspektive.)

2010 habe ich zunächst die Bewerbungsfristen der Unis in Berlin verschlafen und mich bis 2011 auch nicht wirklich weiter mit dem Gedanken des Studierens auseinandergesetzt. Als ich 2011 dann die Zusage für das Studium Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung an der TU Berlin bekommen habe, habe ich das Studium dann natürlich angenommen und mich mit dem Fach an sich erst wirklich im Rahmen des Studiums beschäftigt. Meine Verwunderung war dann natürlich entsprechend groß, als ich festgestellt habe Soziologie nicht gleich Soziale Arbeit ist. 

Da ich aber nicht wirklich Lust hatte mich erneut irgendwo anders zu bewerben, blieb ich letztendlich dabei. Immerhin klang das Fach in der fachinternen Vorstellung der Einführungswoche dann auch einigermaßen interessant oder zumindest wie etwas, bei dem es sich lohnen würde, sich damit auseinanderzusetzen.

Ich wollte also nie aus einer intrinsischen Motivation heraus Soziologe werden und auch die Entscheidung, an der TU zu studieren war reiner Opportunismus und weniger eine bewusste Entscheidung für diese Richtung.

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Was ist das Besondere an der Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung?

Der Studiengang an der TU ist insofern besonders, als dass er Überschneidungseffekte zu anderen eher technischen Disziplinen an der Universität aktiv fordert und fördert. Im Bachelor wählt man beispielsweise ein technisches Nebenfach aus einem Pool von Fächern der Natur-, Ingenieur- oder Planungswissenschaften wie Informatik, Arbeitswissenschaften, Fabrikmanagement, Ökonometrie oder Stadtplanung. Aber auch im Master hat man die Möglichkeit, Programmieren zu lernen oder in Bereiche der BWL und VWL einzutauchen.

Wie ist Ihre bisherige Karriere verlaufen?

Ich bin meiner Wahlheimat Berlin seit 2009 treu geblieben. Ich habe hier sowohl meinen Bachelor als auch meinen Master gemacht und ein Praktikum im Bundestag (auch wieder eher zufällig) beim damals Vorsitzenden des Ausschusses Digitale Agenda absolviert. Seit 2018 arbeite ich bei brandung. 

brandung ist eine Full Service Digitalagentur. Wir begleiten und beraten unsere Kunden bei der Umsetzung von Websites auf dem Weg von der ursprünglichen Idee über die initiale Gestaltung bis hin zur Umsetzung. Die Komplexität reicht hier von einfachen Onepagern bis hin zu modernen Spendenportalen für NGOs oder Shopsystemen für internationale Marken.

Angefangen habe ich dort als Werkstudent im Projektmanagement. Als sich gegen Ende 2018 auch das Ende meines Masterstudiums abzeichnete, gingen die Gespräche recht schnell in Richtung Übernahme. Die Stelle als Coach hat sich dann innerhalb des Jahres 2019 entwickelt. Begünstigend dafür, dass die Gespräche in diese Richtung gelaufen sind, war vermutlich auch der Fakt, dass ich mich seit meiner Bachelorarbeit intensiv mit neuen Technologien wie beispielsweise Bitcoins und dem dahinter liegenden Konzept der Blockchain auseinandergesetzt habe. Im Master habe ich dann noch einmal programmieren gelernt und mich mehr und mehr auf den noch kleinen Bereich der Softwaresoziologie fokussiert. Meine Abschlussarbeit trug den fulminanten Titel: Die kommunikative Konstitution fluider Organisation. Eine soziologische Untersuchung zur Relevanz von Software in der Organisation von Arbeit auf Märkten in der Plattformökonomie. Den Arbeitsvertrag hatte ich allerdings schon vorher in der Tasche. Nichtsdestotrotz, war der Fokus auf Nutzung und Entwicklung von Software im Studium einer der ausschlaggebenden Punkte um inital das Vertrauen zu bekommen, die Rolle entsprechend ausfüllen zu können.

Was tut man an einem typischen Tag als Agile Coach? 

Einen richtigen typischen Tag gibt es nicht. Im Wesentlichen, so meine Beobachtung, wird sich auch die konkrete Berufspraxis von Coach zu Coach unterscheiden, je nachdem wen man fragt. Eine grobe Orientierung über die Beschreibung der Arbeit findet man beim Agile Coaching Institute. Dadurch, dass der Beruf und die Berufsbezeichnung an sich aber nicht geschützt ist, obliegt die Ausführung dem jeweils Handelnden, auch die Zertifikate und Weiterbildungen lassen sich im Großteil eher als nette Empfehlung verstehen.   

Runterbrechen lässt sich die Arbeit meiner Meinung nach auf drei Kernfaktoren: Beobachten, Beschreiben, Kommunizieren. Also genuin soziologische Tätigkeiten, die von einem selbst dann aber in Form einer performativen Praxis befüllt werden müssen.

In meiner Arbeit unterstütze ich beispielsweise die Teams, die nach Scrum arbeiten, in den Scrum Events wie Plannings, Dailys, Reviews und Retros und vermittle die Regeln dieses Entwicklungsframeworks im Rahmen eines training-on-the-job oder von mir konzipierten Weiterbildungen. Die Teams, die noch keinen definierten Arbeitsprozess haben oder diesen nur implizit kennen, unterstütze ich dabei, die Organisation ihrer Zusammenarbeit zu verbessern und zu reflektieren. Zusätzlich koordiniere ich mit unserer Geschäftsführung, den fachlichen Leiter*innen und dem mittleren Management die Weiterentwicklung der Organisation an sich. Ansonsten bin ich für unsere Kund*innen und alle intern interessierten Mitarbeiter*innen Ansprechpartner rund um Themen wie Agilität, Organisation von Zusammenarbeit oder Konfliktbewältigung. 

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Wie unterscheidet sich agiles Coaching vom klassischen Coaching?  

Agiles Coaching beginnt in Differenz zum klassischen Coaching, dort, wo die Entwicklung von Lösungen in Kohärenz zum agilen Manifest für Softwareentwicklung begleitet werden. Der Raum, in dem Lösungen entwickelt werden können, ist demnach schon auf einen bestimmten Fokus ausgerichtet und die Coachingleistung bezieht sich damit konkret auf die gemeinsame Deutung, Auslegung und Umsetzung des Manifests in die jeweilige Handlungspraxis durch Coach und Coachee.

Die Feedbacks, die hieraus für die Teams entstehen, sind sehr heterogen, ich versuche die Teams darin zu unterstützen, zu erkennen, warum bestimmte Dinge nicht so funktionieren wie sie funktionieren sollten. Der erste Zugang für mich ist immer das Team als soziale Entität an sich. Das heißt, bevor wir über konkrete Artefakte im Prozess oder technische Aspekte der Arbeit sprechen, beobachten wir gemeinsam die Kommunikation im Team und arbeiten an einem gemeinsamen Verständnis des Teams über das Team an sich.

Ich arbeite in der Regel mit handschriftlichen Notizen, die ich kontinuierlich pflege und als Gedankenstütze für meine Reflexionen nehme. Im Zuge der COVID-19-Pandemie hat sich das natürlich etwas geändert. Neben dem regelmäßigen Austausch, der vorher informell stattgefunden hat und jetzt teilweise formalisiert wurde, um eine Regelmäßigkeit zu gewährleisten, sind vor allem Issue-Tracking-Systeme wie Jira oder Wiki-Software wie Confluence wichtiger geworden, da diese in der Regel formale Dokumentationen des Arbeitsprozesses der Teams sind. Für Workshops und Weiterbildungsformate hat sich bei uns Miro (ein online Whiteboard) durchgesetzt, um gemeinschaftlich an den jeweiligen Fragestellungen zu arbeiten.

Hat Sie Ihr Studium ausreichend auf den Job vorbereitet oder mussten Sie sich viel Wissen zusätzlich aneignen? 

Ich denke, Soziologie kann eine sehr gute Vorbereitung auf diesen Job sein, vor allem wenn man sich in den Bereichen der Organisations-, Industrie-, Arbeits-, Technik- und Innovationssoziologie wohlfühlt. Allerdings ist das nur ein Einstieg in die Themen, die einem dann im Berufsalltag begegnen, das heißt, zusätzlich sollten sich Interessent*innen Wissen über Softwareentwicklung in klassischen und agilen Vorgehensweisen aneignen, sofern das der Fokus der Organisation ist, in der man arbeitet. Der Vorteil im agilen Umfeld ist, dass viele der Ressourcen, die man zum Lernen nutzen kann, online frei verfügbar sind und die Community sehr aktiv ist und viel Wissen auf Konferenzen und Meetups vermittelt wird.

Da der Beruf des Agile Coaches zusammen mit agilen Methoden in den letzten Jahren aber immer mehr in den Beratungsmainstream diffundiert ist und sich sukzessive aus der strikten Kopplung an die Softwareentwicklung gelöst hat, sind Themen wie Organisationsentwicklung und -gestaltung sowie Innovations- und Technologiemanagement ungemein wichtiger geworden. 

Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Job?

Die größte Herausforderung - zumindest für mich - ist das Verbinden von Theorie und Praxis im Arbeitsalltag. Im Diskurs im und über Agilität lässt sich die heterogene Auslegung des Begriffes beobachten, der wiederum auf einer langen und heterogenen Ideengeschichte beruht. Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt, wird man feststellen, dass Begriff und Idee bereits mit wissenschaftlichem Wissen aus Soziologie, Psychologie, Verhaltensökonomie, Philosophie, Kybernetik und Neurologie imprägniert sind. Hinzu kommt dann das eigene theoretische soziologische Wissen, womit sich die Reflexionsprobleme dann auf eine Metaebene verlagern und man beginnt, den ideengeschichtlichen Prozess des Begriffes der Agilität selbst zu hinterfragen.

In der konkreten Handlungspraxis besteht das Kunststück dann darin, möglichst offen und ohne theoretische Reflexion an spezifische Probleme heranzutreten, um nicht sofort in einen normativen Modus der klassischen Beratung zu verfallen.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?

Der Abwechslungsreichtum und tatsächlich der Fakt, dass ich die Soziologie nicht ganz aufgeben musste. Es hat zwar sehr lange gedauert, bis die Soziologie und ich so richtig zueinandergefunden haben, aber das, was ich mir im Studium an Wissen und Fähigkeiten erarbeitet habe, prägt noch immer meinen Arbeitsalltag.

Wieso sind Sie als Soziologe so gut für den Job geeignet?

Als Soziolog*in; ich verallgemeinere das hier einmal bewusst, ist man für diesen Beruf meiner Ansicht nach besonders geeignet, weil man zum einen bereits im Studium lernt, sich schnell in abstrakte theoretische Modelle hineinzudenken und diese gegeneinander zu vergleichen, und zum anderen bringt man mit den Methoden aus der empirischen Sozialforschung bereits ein geeignetes Methodenarsenal (Einzelinterviews, Gruppeninterviews, Fragebögen, Netzwerkanalyse) mit, mithilfe dessen man die eigenen Beobachtungen strukturiert bearbeiten und ordnen kann.

Was empfehlen Sie Studierenden, die sich für einen Job im Bereich des Agile Coaching interessieren?

Wer sich für einen Einstieg interessiert, sollte sich zunächst mit der Rolle des Scrum Masters vertraut machen. Danach wird es wichtig das eigene Methodenrepertoire Stück für Stück auszubauen, dass heißt, man sollte sich auch mit Methoden wie Design Thinking und Kanban vertraut machen. Zumindest für Ersteres bieten viele Universitäten kostenfreie Workshops und Seminare an. Als Student sollte man allerdings davon absehen, die oft kostspieligen Zertifikate zu erwerben, die sehen im Lebenslauf zwar gut aus, Kosten/Nutzen stehen hier allerdings in keinem wirklich guten Verhältnis.

Wer im universitären Arbeiten selbst Grundlagen aufbauen will, sollte sich näher mit Arbeits- und Organisationstheorie auseinandersetzen. Üblicherweise begegnen einem Namen wie Weber, Taylor, Fayol und Simon ohnehin im Studium, zusätzlich können dann Theoretiker*innen wie Nils Brunsson, Hans J. Pongratz, G. Günter Voß, Christiane Funken, Günther Ortmann und Sabine Pfeiffer hinzugezogen werden.

Haben Sie noch eine Buchempfehlung? 

In 4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt knüpft Dirk Baecker mehr oder weniger direkt an sein Buch "Studien zur nächsten Gesellschaft" an und skizziert einen konzeptionellen Übergang des Projektes der Moderne hin zum Projekt der Digitalisierung und bietet damit einen diskursfähigen Begriff der Digitalisierung an. Digitalisierung so Baecker ist die Transformation analoger in diskret abzählbare, binär codierte, statistisch auswertbare, maschinell berechenbare Prozesse. Auf Basis dieser Unterscheidung entfaltet sich das Buch und beobachtet die sich ändernden Strukturmuster der Gesellschaft und bietet interessante Anstöße zu Entwicklung eigener Beobachtungen sowie für die Systemtheorie wichtige neue Ansätze wie den der "Technopoiesis", welcher im Diskurs und Umfeld der STS schon länger als Soziomaterialität behandelt wird. Wer auf der Suche nach einem kurzweiligen und intelligenten Buch über Digitalisierung und Gesellschaft ist, kann und sollte hier vermutlich zugreifen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Veröffentlicht am: 28. Dezember 2020