Ich bin als Professor für Personalmanagement und Organisation an der Hochschule Hof beschäftigt. Außerdem leite ich seit 2008 das Institut für Korruptionspraevention.
Diesen dummen Spruch mit dem „Taxifahrer“ habe ich in meinem Leben natürlich oft gehört. Noch heute gibt es Leute die mir gegenüber meinen, derartige Weisheiten von sich geben zu müssen. Bei uns Babyboomer war die Akademikerarbeitslosigkeit ohnehin vorprogrammiert, ganz besonders bei Soziologen. Allerdings war ich nach Beendigung meines Studiums nicht einen Tag arbeitslos.
Ich habe nach dem Studium auch niemals irgendwelche Hilfstätigkeiten ausüben müssen, sondern habe immer als Soziologe gearbeitet. Während des Studiums sah das natürlich anders aus, aber das ist ja bei allen Studiengängen so und hängt eher vom Geldbeutel des Elternhauses ab.
Mir waren diese Sprüche immer egal. Für ein Soziologiestudium habe ich mich entschieden, weil es mich einfach interessiert hat. Meine Fächer in der Schule haben mich in der Regel unfassbar gelangweilt. Ich fand das alles immer ziemlich banal. Soziologie war was ganz Neues und man konnte eigentlich immer direkt was damit anfangen. Soziologie kann man immer anwenden, man ist ja immer in irgendwelchen sozialen Zusammenhängen unterwegs. Das fand ich total spannend.
Studiert habe ich in Marburg. Übrigens nicht, weil ich unbedingt bei Marburger Soziologen studieren wollte. Da hatte ich mich nicht drüber informiert. Wir hatten mit der Schule die Marburger Universität besucht und ich fand die Stadt ganz einfach klasse. Abgesehen davon hatte ich auch in Marburg einen Job gefunden, mit dem ich mein Studium finanzieren konnte; ich bin allerdings nicht Taxi, sondern Rettungswagen gefahren.
Das Studium selbst verlief dann vollkommen unspektakulär. Verglichen mit den Studiengängen heute, war mein Studium in Marburg sehr entspannt. Gelernt habe ich im Prinzip nie. Außer in Statistik haben wir keinerlei Klausuren geschrieben, sondern Vorträge gehalten und Hausarbeiten geschrieben.
Diese Art zu arbeiten habe ich geliebt. Man konnte in der Bibliothek sitzen, sich zehn Bücher schnappen und in eine andere Welt versinken. Dieses stumpfe Auswendiglernen von Lehrbüchern wurde damals noch nicht verlangt. Es gab zwar Vorlesungen, aber die musste man nicht besuchen. Bis auf wenige Ausnahmen war es sowieso besser sich ein gutes Buch zu schnappen. Das war erheblich weniger einschläfern als die meisten Vorlesungen.
Ein wenig mehr verschult war der Diplomstudiengang. Aus diesem Grunde habe ich mich als einziger in meinem Jahrgang für den Magisterstudiengang entschieden. Als Magister konnte man sich seine Nebenfächer frei aussuchen. Ich habe dann alles Mögliche gemacht: ein wenig Medienwissenschaft, Psychologie, Philosophie und mittelalterlich Geschichte.
Meine Prüfungen habe ich dann am Ende in den Nebenfächern Politikwissenschaft und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte abgelegt. Mein Hauptfach Soziologie war mit dem Diplomstudiengang mehr oder weniger identisch.
Direkt nach dem Studium hat mich einer der Gutachter meiner Magisterarbeit (Hans-Joachim Giegel) in den Osten verschleppt. Er hatte dort einen Lehrstuhl für Soziologie ergattert und mich als wissenschaftlichen Mitarbeiter mitgenommen.
Damals wurde an der Universität Jena gerade das Institut für Marxismus und Leninismus abgewickelt und durch ein Institut für Soziologie ersetzt. Die ostdeutschen Professoren wurden entlassen und durch westdeutsche ersetzt. Außer den studentischen Hilfskräften kam das gesamte wissenschaftliche Personal aus dem Westen. Da gingen natürlich bei den ostdeutschen Universitätsbeschäftigten die Sektkorken hoch.
Die Arbeitsatmosphäre war so wunderbar, dass ich schon nach knapp einem Jahr das Angebot von Richard Münch annahm, zu ihm nach Düsseldorf zu kommen. Das war sehr weit im Westen und das rheinländische Arbeitsklima erschien mir als wunderschönes Kontrastprogramm zu meinen Erlebnissen in Thüringen.
In Düsseldorf habe ich dann an einem internationalen Forschungsprojekt zum Thema Luftreinhaltung teilgenommen. Zu dem Thema habe ich dann auch später promoviert. Das war dann allerdings schon in Bamberg, also in Bayern.
Nach Beendigung des Forschungsprojektes hat Richard Münch nämlich einen Ruf an die Universität Bamberg angenommen und mich als wissenschaftlichen Mitarbeiter, und nach der Promotion dann als wissenschaftlichen Assistent an seinem Lehrstuhl beschäftigt.
Während dieser Zeit war ich vor allen Dingen als Redakteur mit der soziologischen Revue beschäftigt. Das ist eine soziologische Rezensionszeitschrift. Ein Paradies. Man bekommt alle neuen Bücher aus dem deutschsprachigen Raum die sich irgendwie mit Soziologie beschäftigen zugeschickt. Man ist den ganzen Tag damit beschäftigt zu lesen und knüpft ein sehr breites Netzwerk zu Autoren, Verlagen und Rezensenten.
Bei all dieser Freude hatte ich dann allerdings ganz die Zeit vergessen. Die damalige Forschungsministerin Frau Buhlmann war allerdings so freundlich, mich daran zu erinnern, dass wissenschaftliches Arbeiten nicht aus Lesen und Schreiben, als vielmehr aus der möglichst schnellen Abfolge von Qualifizierungen besteht.
Die Situation an den deutschen Universitäten wurde dank dieser Gedächtnisstütze für den Mittelbau zunehmend unangenehm und prekär. Ich hatte zwar eine zeitlich befristete Stelle als Beamter, wollte aber nicht unbedingt warten bis man mich vor die Tür setzt. Zu dieser Zeit haben sich sehr viele Privatdozenten um sehr wenige Stellen geprügelt und die Auswahlkriterien waren hier eindeutig nicht auf meiner Seite.
In meiner Promotion hatte ich mich ja mit Fragen der Luftreinhaltung beschäftigt und war hier (ausführlicher als ich wollte) mit den Themen Verwaltung, Genehmigungsverfahren, Verwaltungsmodernisierung und -politik in Berührung gekommen. Wie auch immer, ich bekam eine E-Mail von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Freistaates Bayern mit der Aufforderung, mich auf eine frei gewordene Stelle als Soziologe zu bewerben.
Das habe ich dann auch wirklich für acht Jahre gemacht. An dieser Hochschule ist man kann Professor, sondern ein sogenannter „Laufbahnbeamter“ (zum Schluss dann „Regierungsdirektor“), was vor allen Dingen den Sinn hat, die Leute auch außerhalb der Hochschule einzusetzen. Zum Glück! Für mich war das die beste berufliche Entscheidung meines Lebens. Denn dieser Job hat mich den Büchern entrissen und mich in die Kälte des echten Lebens entlassen.
Nach kurzer Zeit habe ich dann wirklich interessante Sachen gemacht. Ich habe Kriminalbeamten Objektive Hermeneutik beigebracht, mich mit Qualitätsmanagement in Landratsämtern befasst, Vorgesetzten Gesprächsführung beigebracht und mich auch immer mehr mit dem Thema Korruption beschäftigt. Alle diese Themen sind zwar soziologisch interessant, aber letztlich nur interdisziplinär zu bearbeiten. Vor allen Dingen dann, wenn praktisch verwertbare Hilfestellungen gefragt sind.
Ich habe an dieser Hochschule zum ersten Mal wirklich interdisziplinär arbeiten müssen. Das ist für einen Menschen aus der Universität außerordentlich schwer nachvollziehbar: wie man sich konkret inhaltlich, und bezogen auf echte Probleme mit Juristen, Betriebswirten und Polizeibeamten auseinandersetzt. Man muss sich als Soziologe in der Universität ja immer nur mit der Soziologie beschäftigt und die Kollegen anderer Disziplinen kennt man höchstens aus unangenehmen Gesprächen in den Gremien. Mir hat diese Arbeit außerhalb der Universität außerordentlich viel gebracht.
Aber auch das wird irgendwann langweilig. Ich habe mich daher wieder hinter meine Bücher gesetzt und an meiner Habilitationsschrift gearbeitet. Sozusagen als Hobby neben dem Fulltime-Job bei den Verwaltungsleuten. Dabei hat mir Christian Lahusen sehr zur Seite gestanden. Und weil Lahusen einen Lehrstuhl für Soziologie an der Universität in Siegen hat, habe ich mich dann dort 2011 habilitiert.
Zwischenzeitlich hatte sich aus der interdisziplinären Zusammenarbeit eine Institutsgründung entwickelt. Seit 2008 leite ich das Institut für Korruptionsprävention, das aus einer ganzheitlichen Perspektive versucht sich dem alten Gewerbe der Korruption entgegenzustellen.
Zufälligerweise hat meine Zusammenarbeit mit der Polizei und vor allen Dingen meine Beschäftigung mit der Hermeneutik als Instrument der Interpretation von Vernehmungen parallel zu meinem Habilitationsverfahren zu einem Ruf als Professor für Soziologie an den Fachbereich Polizei der Fachhochschule für den öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen geführt. Ich habe also auch 2011 nach Nordrhein-Westfalen gewechselt.
Die Aufgabe dort war sehr spannend und interessant. Im Prinzip habe ich zukünftige Polizisten ausgebildet. Deren Interesse an Soziologie ist sehr ausgeprägt. Über Recht und Gesetz kann man als Polizist zur Not auch noch im Nachhinein reflektieren, grundlegende Kenntnisse in Soziologie und Psychologie sind für Polizisten aber akut oft lebenswichtig. Dass den Studierenden rüberzubringen und mit aktuellen Situationen aus der Polizeiarbeit abzustimmen, war sehr anspruchsvoll und hat auch sehr viel Spaß gemacht. Wäre mir nicht der Ruf an die Hochschule Hof dazwischengekommen, würde ich es sicherlich heute noch machen.
Nein. Die wissenschaftliche Karriere hat sich einfach so ergeben. Ich habe mich nie auf irgendwelche Stellen bewerben müssen, sondern wurde von irgendwelchen Professoren angesprochen. Eine echte Selektion findet im Wissenschaftssystem eigentlich erst mit der ersten Professur statt, und wenn man schon so weit ist, hat man kaum noch eine Chance etwas anderes, Vernünftiges zu machen.
An die Hochschule Hof bin ich gewechselt, weil ich hier sehr gute Arbeitsbedingungen vorgefunden habe. Gerade auch im Vergleich zu meiner Professur in Nordrhein-Westfalen sehen die Dinge doch in Bayern etwas anders aus.
Die Hochschule Hof ist eine sehr moderne Hochschule mit allen Einrichtungen die einem Wissenschaftler das Leben einfacher machen. Auf diesem Niveau hatte ich das bisher weder an Universitäten noch an anderen Hochschulen kennengelernt. Bücher kann ich jederzeit anschaffen ohne nach einem Etat zu fragen, es stehen modern ausgestattete Räumlichkeiten für Forschungsprojekte zur Verfügung, die EDV Ausstattung ist auf dem modernsten Stand, es gibt eine Stabsstelle, die sich um den gesamten administrativen Bereich der Beantragung und Abwicklung von Forschungsprojekten kümmert und ich habe nicht nur den formalen Anspruch auf ein Forschungsfreisemester, sondern es wird auch praktisch gewährleistet, dass ich es nehmen kann.
Zudem ist die Hochschule Hof international sehr gut aufgestellt was heißt, dass wir eine große Anzahl ausländischer Studierender haben und viele Vorlesungen in englischer Sprache durchgeführt werden. Das macht mir Spaß und ermöglicht mir mein Freisemester an einer ausländischen Universität zu verbringen. Letztes Jahr war ich an der Weber State University in Utah und habe dort sowohl an der wirtschaftlichen als auch an der soziologischen Fakultät gearbeitet.
Auch die inhaltlichen Schwerpunkte sind bei einer so kleinen Hochschule entscheidend. Meinen Interessen kommen die Hofer Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit, Technik und Compliance sehr entgegen. Mein Institut für Korruptionsprävention hat sich hier deshalb auch thematisch sehr gut etablieren können.
Die Hochschule Hof ist eine sehr kleine internationale und progressive Hochschule. Das liberale Arbeitsklima ist sehr angenehm und unterscheidet sich deutlich von der ein oder anderen, etwas muffeligen Universitätsatmosphäre aus meiner Vergangenheit.
Erst einmal bin ich ja Professor für Personalmanagement und Organisation im Studiengang Internationales Management. Die Lehre in diesem Bereich ist also meine Haupttätigkeit. In meinem Arbeitsalltag versuche ich diese Lehre so zu organisieren, dass ich zusammenhängende Tage für das Institut oder an Forschungsprojekten arbeiten kann.
Ich gehöre leider nicht zu den Menschen die alle zwei Stunden umschalten können, muss mich also längere Zeit auf etwas konzentrieren. Das Unangenehme ist, dass mit der Projektarbeit sehr viel verbunden ist, was eigentlich gar nichts mit Wissenschaft zu tun. Zwar wird mir die gesamte Finanz- und Personalverwaltung vom Hals gehalten, aber so wie man eine größere Anzahl von Menschen beschäftigt, muss man sich mit denen auch unterhalten.
Neben meiner Lehre bin ich also die meiste Zeit mit Gesprächen beschäftigt. Da ist immer viel zu planen, zu organisieren, zu redigieren, zu schreiben usw. Verlangt wird eigentlich immer mehr nach einem Manager und nicht nach einem Wissenschaftler.
Meine Hauptaufgabe besteht in der Akquise von Projekten. Seien es Forschungsprojekte, etwa beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, oder angewandte Projekte zusammen mit Unternehmen oder Behörden. Ich schreibe also zusammen mit meinen Kollegen Forschungsanträge oder gebe Angebote ab.
Im Zusammenhang damit ist es notwendig bestimmte Netzwerke zu pflegen und sich auf Tagungen blicken zu lassen. Das ist ein sehr mühsames Geschäft und die Erfolgsquote steht in keinem vernünftigen Zusammenhang mit dem betriebenen Aufwand. Man braucht also einen langen Atem in diesem Geschäft.
Bei unserem Institut kommt hinzu, dass die Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Republik verstreut sind und es nicht immer einfach ist die Zusammenarbeit zu koordinieren.
Es gibt unterschiedliche Bereiche in denen wir tätig sind. Im Bereich Personalentwicklung bieten wir unterschiedliche Seminare und Vorträge an. Hier geht es vor allen Dingen darum, dass mittlerweile sehr komplex gewordene Thema von Compliance in die Köpfe der Beschäftigten zu bringen.
Die Organisationsberatung findet hauptsächlich mithilfe von zwei Instrumenten statt. Wir führen standardisierte Befragung zur Risikoermittlung in Organisationen durch. Das ist die quantitative Ebene unserer Forschungsarbeit. Diese Befragungen dienen hauptsächlich dazu den Ist-Zustand einer Organisation zu ermitteln, entsprechende Problembereiche zu erkennen. Auf der qualitativen Ebene führen wir Schwachstellenanalysen in Bezug auf bestimmte Prozesse durch.
Man kann sich das wie eine Geschäftsprozessanalyse vorstellen, die nicht eine Effizienzsteigerung im Fokus hat, sondern sich mit Schwachstellen auseinandersetzt, die weitgehend in den Themenbereich Compliance fallen. Diese Analysen werden in Form von Diskussionsverfahren mit jenen Beschäftigten durchgeführt, die in der Praxis mit den entsprechenden Prozessen betraut sind.
In meiner alltäglichen Arbeit benötige ich vor allen Dingen ordentliche Kenntnisse der empirischen Sozialforschung, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Ich kann nicht sagen, ob ich diese Kenntnisse hinreichend durch mein Studium erworben habe. Gewisse Grundkenntnisse sicherlich. Aber das notwendige Niveau habe ich eigentlich erst durch die Arbeit an meiner empirischen Promotion erreicht.
Hilfreich sind für mich vor allen Dingen die theoretischen Kenntnisse, die einen Soziologen durchaus von anderen Profession unterscheiden. In meinem Arbeitsbereich sind das ganz besonders theoretische Kenntnisse zur Organisations- bzw. Arbeits- und Berufssoziologie. Was mir wirklich geholfen hat, ist das Verstehen von Zusammenhängen ohne mir lexikalisches Wissen aneignen zu müssen.
Selbstverständlich habe ich mir im Laufe der Jahre sehr umfangreiches Wissen in den Bereichen der Rechtswissenschaft, der Verwaltungswirtschaft und der Betriebswirtschaftslehre angeeignet; aber selbstverständlich sind die Fachkollegen in ihren Bereichen sehr viel belesener als ich das bin. Ich habe in meinem Studium gelernt Zusammenhäng herzustellen, den Wald, und nicht nur die Bäume zu sehen. Ich habe gelernt in komplexen Strukturen eine Logik zu finden, auch wenn diese Logik manchmal irrational ist, aber ich kann mit ihr dann arbeiten und gestalten.
Oder um es auf den Punkt zu bringen: wirklich wichtig war an meinem Soziologiestudium vor allem die Theorieausbildung und alles was mit empirischer Sozialforschung zusammenhängt. Alles andere kann man sich zur Not und bei Bedarf anlesen!
Vielen Dank für das Gespräch!
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