Dr. Nils Müller
Kategorie: Bildung, Forschung & Lehre
Schreibberater an der FH Bielefeld

Dr. Nils Müller

Seit März 2016 arbeite ich als Schreibberater in der Lehreinheit Wirtschaft an der Fachhochschule Bielefeld. Das heißt, ich unterstütze Studierende dabei, eigenständige wissenschaftliche Texte wie Haus- oder Bachelorarbeiten zu verfassen. Überspitzt ausgedrückt: Ich helfe ihnen, Lesen und Schreiben (neu) zu lernen.

Dazu veranstalte ich Workshops, die von Studierenden freiwillig besucht werden können, und biete eine offene Sprechstunde so wie individuell zu vereinbarende Beratungstermine an. Zudem habe ich ein Konzept für ein spezielles Modul im Studiengang Wirtschaftsrecht entwickelt, in dem methodische und inhaltliche Ausbildung eng miteinander verzahnt sind. Dieses Modul unterrichte ich auch selbst.

Wie sind Sie an der FH Bielefeld angestellt?

Formal tue ich dies auf einer vollen aber befristeten Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Optimierung von Studienverläufen das aus den Geldern des Qualitätspakt Lehre finanziert wird. Mit diesem Geld versucht das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2012 die Studienbedingungen an deutschen Hochschulen zu verbessern und insbesondere die Abbrecherquoten zu verringern. An meiner Hochschule hat das Projekt vier Säulen: die für den internen Gebrauch gedachten Studienverlaufsanalysen, die allgemeine Studienverlaufsberatung, die Mathematik-Kompetenz und die Informations- und Schreib-Kompetenz, in der ich arbeite.

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Wie sieht ein typischer Arbeitstag als Schreibberater aus?

Der typische Arbeitstag beginnt mit einer Bahnfahrt von Dortmund nach Bielefeld und endet mit der Rückfahrt. Dazwischen liegen Sprechstunden und Beratungstermine, Lehrveranstaltunge, Besprechungen mit Kollegen und die eine oder andere Stunde im Büro, in der ich Veranstaltungen vorbereite, wissenschaftliche Texte lese oder mir neue Themen für Workshops ausdenke.

Während des Semesters liegt dabei der Schwerpunkt auf den Lehrveranstaltungen und der Beratung, in der vorlesungsfreien Zeit komme ich dann mehr zu konzeptionellem und kreativem Arbeiten. Dabei liegt mein Schwerpunkt dann darauf, das wissenschaftliche Schreiben auch im allgemeinen Curriculum stärker zu verankern.

Bei welchen Problemen können Sie den Studierenden helfen?

In die Sprechstunde und die Beratungstermine kommen die Studierenden mit allen möglichen Fragen. Schwerpunktmäßig drehen sich diese Gespräche aber um den Aufbau einer eigenen Argumentation in der Arbeit und damit verbunden das Verfassen einer Gliederung. Auch die Unsicherheit der Studierenden im Hinblick auf das von den Lehrenden sehr stark betonte aber nirgendwo systematisch vermittelte korrekte Zitieren ist häufig Thema.

Für ein einzelnes Beratungsgespräch plane ich meist 60 Minuten ein, es kann aber auch schon nach 30 Minuten zu Ende sein oder sogar zwei Stunden dauern. Manche Studierende - vor allem solche, die gerade an ihrer Bachelorarbeit sitzen - begleite ich auch über mehrere Termine hinweg und helfe ihnen so dabei, ihren Arbeitsprozess zu strukturieren.

Gerade in den Wirtschaftswissenschaften spielt das eigenständige Schreiben eine sehr geringe Rolle und so ist für viele Studierende die Bachelorarbeit der erste Text, den sie außerhalb von Klausuren selbst verfassen müssen. Da ist dann die Unsicherheit natürlich groß...

Wie haben Sie Ihre Stelle als Schreibberater gefunden?

Bevor ich nach Bielefeld gegangen bin, habe ich von 2001 bis 2007 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg erst Europäische Wirtschaft (eine Art BWL mit Fremdsprachen) und später parallel Soziologie studiert - beides kurz vor der Umstellung noch auf Diplom. Meine Schwerpunkte dabei waren Organisationstheorie und die Untersuchung der europäischen Integration. Letzteres Thema begleitete mich dann auch durch meine Promotion am anderen Ende Deutschlands, in Oldenburg.

In meiner Doktorarbeit habe ich das Alltagsleben in Grenzregionen untersucht und mir die Frage gestellt, inwiefern Menschen, die unmittelbar an einer nationalen Grenze innerhalb Europas leben, ihren Alltag tatsächlich in das Nachbarland ausweiten. Im Anschluss war ich - ebenfalls in Oldenburg - als Koordinator einer von der DFG finanzierten Forschergruppe tätig.

Nils Müller beim Lesen

Als es dann aus privaten Gründen von Oldenburg nach Dortmund ging, stellte sich die Frage, was man denn als promovierter Soziologe so machen kann - außer natürlich, als Taxifahrer zu arbeiten. Ich mochte die Atmosphäre an der Uni und wollte auch eigentlich nicht in die freie Wirtschaft und bewarb mich entsprechend auf sehr unterschiedliche Stellen: von der klassischen PostDoc-Stelle auf der wissenschaftlichen Karriereleiter über Wissenschafsmanagement und Hochschulverwaltung bis hin zu Online-Redaktion und eben Schreibberatung.

Mein besonderes Interesse an der Praxis wissenschaftlichen Arbeitens und Schreibens kam dabei aus meiner eigenen Arbeit an der Dissertation, für die man sich ausführlich mit seinem eigenen Arbeits- und Schreibprozess auseinandersetzen muss. Außerdem habe ich immer gerne mit Studierenden gearbeitet und auch in Oldenburg schon die eine oder andere Abschlussarbeit zweitbetreut.

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Welche Rolle spielt die Soziologie für einen Schreibberater?

Eigentlich wird dieses Feld von den Sprach- und Literaturwissenschaftlern geprägt, die sich teilweise auch explizit zu Schreibberatern weiterbilden lassen. Mein Weg führte jedoch über die praktische Schreiberfahrung. Als Soziologe gehört das Schreiben von argumentierenden Texten einfach von Anfang an dazu und Schreiben gehört zu den Dingen, die man nur durch ständiges Üben und kontinuierliches Feedback wirklich gut lernen kann. Gerade das präzise und konsistente Argumentieren war ein zentraler Bestandteil meines Studiums und hilft mir jetzt, die Studierenden hier zu sensibilisieren.

Auch, dass ich innerhalb von gut vier Jahren aus dem Nichts einen wissenschaftlichen Text von dreihundert Seiten konzipieren und schreiben musste, hat mich gezwungen, mir einige Gedanken über das Schreiben zu machen. Dabei hat die soziologische Ausbildung mir sicherlich auch geholfen, da einen die Soziologie ja darauf drillt, alles und jeden zu hinterfragen - eben auch sich selbst.

Ein Punkt, in dem mir die Soziologie vielleicht eine andere Perspektive gibt, als den auf den ersten Blick passender ausgebildeten Sprachwissenschaftlern, ist die Sensibilität für die sehr unterschiedlichen sozialen Hintergründe der Studierenden. Hier ist das Spektrum an der FH doch deutlich breiter als an den Unis, sodass zahlreiche Studierende zum Beispiel mit einem handwerklichen Hintergrund an die Hochschule kommen und nicht mit einem akademischen.

Eigentlich war es aber nicht unbedingt der Inhalt der Soziologie, der mich zu diesem Beruf gebracht hat, sondern die Soziologie hat meine Leidenschaften verstärkt bzw. geweckt, die ich jetzt in dem Beruf brauche: Hinterfragen, Lesen und Schreiben.

Was raten Sie Studierenden, die als Schreibberater*innen arbeiten möchten?

Wer wirklich Schreibberater werden will, sollte vermutlich in irgendeiner Form Germanistik studieren und sich an einem der großen Schreibzentren (in NRW zum Beispiel an den Unis Bielefeld oder Bochum) entsprechend weiterbilden lassen. Ansonsten ist Schreibberater ein sehr junger Beruf, der in Deutschland vermutlich in erster Linie eben durch den Qualitätspakt Lehre ein wenig präsenter geworden ist. Was passiert, wenn die Förderung 2020 ausläuft, steht noch vollkommen in den Sternen.

Grundsätzlich würde ich Studierenden aller Fächer - aber vor allem den Soziolog*innen - raten, sich der Kompetenzen bewusst zu werden, die sie in ihrem Studium erlangen. Eben auch, dass es ihnen vermittelt, Argumentationen zu entwickeln und Texte zu konzipieren sowie zu verfassen. Außerdem: Wenn Sie Schwierigkeiten beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten haben und es an Ihrer Hochschule entsprechende Angebote gibt: Nutzen Sie sie!

Vielen Dank für das Interview!

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Veröffentlicht am: 01. Mai 2017