Ich habe in Bielefeld Soziologie studiert und ein Auslandssemester in Amsterdam absolviert. Nach meinem Master folgte ein wahrer Bewerbungsmarathon, der mich letztendlich dazu gebracht hat, mich mit meiner eigenen Agentur - dem Kollektiv13 - selbständig zu machen.
In der Nachbetrachtung sehe ich mein Studium vor allem in zwei Phasen aufgeteilt – die erste, in welcher es mir darum ging, einen Abschluss zu erreichen und die zweite, während derer ich studierte. Was zunächst erst einmal nach einem Widerspruch klingt, ist mir in meiner Zeit an der Universität Bielefeld sowie an der Universiteit van Amsterdam sehr bewusst geworden.
Mein Bachelorstudium an einer Hochschule in meinem Heimatort war recht verschult, mit Multiple-Choice-Klausuren und Anwesenheitslisten. Abgesehen von einer Besetzung des Audimax‘ erinnere ich wenig studentisches Flair in diesen Tagen. Für mich persönlich inspirierend blieb jedoch Prof. Dr. Ditmar Brock in Erinnerung, bei dem ich meine Bachelorarbeit schrieb. Er war mit vielen Begleiterscheinungen der Bologna-Reform, zu deren ersten Opfern ich schließlich zähle, offenbar sehr unzufrieden, vermittelte aber dessen ungeachtet sehr leidenschaftlich soziologische Theorie. Es fiel einem nicht schwer, seinen Vorträgen zu folgen. Ich wünschte, das studentische Selbstverständnis dieser Tage hätte mir einen engeren Draht zu ihm geschenkt. Außerdem erinnere ich mich gern an Prof. Dr. Wolfram Backert, der mir nicht nur damit imponierte, in Chucks zu referieren, sondern bekennender Simpsons-Zuschauer zu sein. Auch seine Art hatte für mich so etwas von „no gods, no masters“, was zum ersten Mal einen Unterschied zu meiner Schulzeit markierte.
Im Bachelor habe ich mich sehr auf Globalisierungs- und Modernisierungstheorien konzentriert und mich mit Bevölkerungs- und Migrationssoziologie beschäftigt. Ich erinnere mich, dass es damals noch einen Zweig Arbeits- und Industriesoziologie gab, welchen ich aber kategorisch mied. Das ärgert mich im Nachhinein, da ich auf diesem Wege möglicherweise früher auf die soziologische Relevanz meiner heutigen Arbeit gestoßen wäre und mein Rückstand im Bereich Organisationssoziologie in Bielefeld hätte geringer ausfallen können.
Thematisch habe ich mich in meinem Studium immer in der Breite orientiert. Selbstorganisation in sozialen Systemen (entlehnt aus der Chaostheorie), McDonaldisierung von Gesellschaft, nicht-intendierte Folgen sozialen Handelns, verschiedene Arten von Grenzen bzw. Grenzziehungsprozessen und globale Ungleichheit sind einige Streiflichter daraus. Insgesamt habe ich mich jedoch ausschweifender mit Korruption und Korruption in den damals neu hinzugekommenen EU-Mitgliedsländern Bulgarien und Rumänien sowie einem soziologischen Korruptionsbegriff an sich beschäftigt. Auch das Gebilde EU sowie europäische Grenzräume im Allgemeinen haben mich immer interessiert. Ab meiner Zeit in Bielefeld wurde die systemtheoretische Ausrichtung zudem etwas stärker. Der Malkasten an soziologischer Theorie war bei mir insgesamt jedoch sehr bunt und ich habe mich nie wirklich einer Theorierichtung verschrieben.
An der Universität Bielefeld habe ich dann wesentlich mehr am studentischen Leben partizipiert. Ich habe an Dekanatseinführungen teilgenommen, Dissertationsverteidigungen besucht, Podiumsdiskussionen beigewohnt, mich am Buffet auf Emeritierungsfeiern gelabt, ein engeres Verhältnis zu Dozenten gepflegt, mich mehr mit Kommilitonen ausgetauscht, Sprachkurse besucht, in Uni-Sportkursen mitgemacht und überhaupt habe ich versucht, universitär, aber auch außeruniversitär viel mitzunehmen.
An meiner Masterarbeit habe ich sehr leidenschaftlich gefeilt und hatte mit Dr. Thomas Blank und Prof. Dr. Thomas Faist zwei Betreuer, die im positiven Sinne alle meine Schritte sehr kritisch beleuchtet und in Person von Herrn Blank auch viel Zeit zugesetzt haben. Das entspannte Verhältnis zu ihm und seine vielen guten Anregungen haben mich wirklich durch die Arbeit getragen. Insofern erachte ich es als nicht unwesentlich, ein gutes Verhältnis zu seinem Betreuer zu pflegen. Sicher gibt es auch andere Formen der Zusammenarbeit, die gut funktionieren, aber für mich war das sehr wichtig. Der Titel meiner Masterarbeit lautet übrigens „Akzeptanz durch Anerkennung? - Soziale Mechanismen unter dem Eindruck zunehmender Flüchtlingsmigration.“, was möglicherweise erahnen lässt, dass der breiten Aufstellung zum Trotz dann am Ende doch viele thematische Bezüge aus der Zeit meines Studiums in der Abschlussarbeit kondensierten. Da die Betreuer meine Arbeit ganz okay fanden, nenne ich mich seitdem Master of Arts im Fach Soziologie.
Nach dem Studium war ich zunächst einmal in der Lage, Banalitäten wie „konsekutiver Studiengang“ oder „stringente Argumentation“ zu dechiffrieren. Wer Gefallen daran findet, „das maximale Volumen subterrarer Agrarproduktivität steht im reziproken Verhältnis zur intellektuellen Kapazität Ihrer Erzeuger“ zu sagen, anstelle von „die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln“, der sollte auf jeden Fall über ein Studium der Soziologie nachdenken.
Für mich gab es aber tatsächlich kein abruptes Studienende. Im Spätsommer 2013 endete mein Mietvertrag im Studierendenwohnheim in Amsterdam und ich hatte es nicht geschafft, mir eine Möglichkeit zu erarbeiten, Amsterdamer Mieten zu stemmen. Nach Bielefeld zurückzukehren schien für mich keine Option zu sein, da ich nur noch einen Forschungsbericht und meine Abschlussarbeit zu schreiben hatte. Also zog ich nochmal in mein Kinderzimmer von 10m² ein und schrieb in der Eltern-WG meinen Forschungsbericht.
Nebenbei arbeitete ich für einen Versicherungsmakler, organisierte mir ein Praktikum und bezog bald wieder eine eigene Wohnung. Mein Vorsatz, demnächst einen coolen Job in Amsterdam oder Berlin zu haben, schien nicht so richtig aufzugehen und der elterliche Haushalt wurde mir mit Mitte Zwanzig in jeder Hinsicht zu eng. Der Plan, eine Abschlussarbeit über mein Praktikum bei einem lokal ansässigen sozialen Verein zu entwickeln, scheiterte grandios. Ich formuliere das bewusst so negativ, weil ich gern vermitteln möchte, dass nicht immer zwingend eines aus dem anderen folgt und auch Misserfolge ein Teil des Puzzles sind.
Das alles führte dazu, dass ich Ende des Jahres 2014 gern mein Studium ohne Abschlussarbeit beendet und mich hauptberuflich auf die Selbstständigkeit konzentriert hätte. Ich habe mich da bereden lassen, wenngleich ich es im Nachhinein nicht bereue. Ich hätte mein Studium allerdings auch ohne diesen Masterabschluss als gute Erfahrung verbuchen können. Nun bescheinigen mir ein paar A4-Seiten, dass ich nicht dumm sein kann oder so etwas in der Art. Ich hoffe, dass mein Zynismus die Leserschaft nicht abschreckt, aber der Soziologie wegen Soziologie zu studieren ist so ähnlich wie nach dem Tod Kurt Cobains Grunge zu spielen – man findet seine Nische oder es bleibt ein Ding von und für Idealisten.
Denn als Soziologin oder Soziologe braucht man eine Lobby – ich würde mich nicht dafür verbürgen, dass dies nicht auch auf andere Fachrichtungen zutrifft, aber ich habe nun einmal nur Soziologie studiert. Selbst wenn man also sein Studium auf dem Reißbrett auf ein Berufsziel ausgerichtet hat, ist dies kein Garant dafür, jenes Ziel zu erreichen. Es mag vieles vom Glück oder vom Zufall abhängen, aber aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich das gern um diesen Fakt konkretisieren, da es sehr wohl Bedarf an der Erklärung gesellschaftlicher Phänomene bzw. Probleme sowie deren Ursachen und Zusammenhänge gibt, für deren Bearbeitung aber nicht zwangsläufig Soziologen zu Rate gezogen werden. In diesem Zusammenhang kann ich auch nicht bestätigen, dass Praktika oder ehrenamtliche Engagements in naheliegenden Bereichen einen Ausschlag geben würden.
Nun muss ich allerdings selbstkritisch einwerfen, dass ich mich nie vom Anfang meines Studiums an auf ein konkretes Berufsziel ausgerichtet habe. Das allgemeine Berufsziel Soziologe scheint zudem in der gesellschaftlichen Wahrnehmung weniger legitim zu sein als bspw. Jurist, da verkannt wird, dass ein Jurist nicht unbedingt Rechtsanwalt, sondern durchaus Rechtsjournalist und ein Soziologe nicht unbedingt Professor, sondern auch Manager oder Unternehmensberater sein kann.
Letztendlich betrachte ich meine aktuelle Tätigkeit aber auch nicht als meine letzte Aufgabe, die mir zeitunabhängig ein Auskommen, Freude oder die Rente sichert. Mein Anforderungsprofil ist Veränderungen unterworfen, aber ich habe zum Glück mit vielen Menschen zu tun, die sich auf dem Erdball verteilen und sehr unterschiedlichen Dingen nachgehen. Ich möchte gern die beste Show machen und bewusst oder unbewusst werde ich Entscheidungen treffen, die mir das ermöglichen.
Einen Teil des Entschlusses für die Selbstständigkeit hat vielleicht ausgemacht, dass ich Mitarbeiter irgendwann einmal nach anderen Kriterien auswählen wollte, als jene Personaler, mit denen ich konfrontiert war. Ich will nicht leugnen, dass ich nach meinem Masterabschluss einen kleinen Bewerbungsmarathon hingelegt habe. Eine in meinen Augen gut geschriebene Darstellung zu Bewerbungen mit einem Masterabschluss, in welcher ich mich sehr gut wiedergefunden habe, findet sich im Blog von Edition F.
Mein Tiefpunkt diesbezüglich war die Bewerbung auf ein Traineeship in einer Online Marketing Agentur in Leipzig. Die hatten einen Imagefilm produziert, der zeigen sollte, was das dort nicht alles für tolle Freunde zusammenarbeiten, dass sämtliche universitäre backgrounds willkommen sind und die Arbeit im Prinzip nur aus Grillen auf der Dachterrasse und Kickern nach der Mittagspause besteht. Da wollte ich arbeiten.
Nachdem ich bereits einen lockeren und freundlichen Kontakt mit der Gründerin und Geschäftsführerin über ein Karriereportal hatte, bewarb ich mich formal und war nach der ersten Rückmeldung einigermaßen geschockt. Die Fraktion der High-Five-Kumpels, welche mich im Film noch zum Duzen animierte, stellte meine Hang-Loose-Schreibe bloß, indem sie sich höchst förmlich für mein Interesse am Unternehmen bedankte und mich darum bat, neben meinem Masterabschlusszeugnis, auch das Bachelorzeugnis sowie mein Abiturzeugnis einzureichen.
Als ich schon drauf und dran war, im Keller nach meinem Elternheft aus Grundschulzeiten zu graben, erreichte mich eine ebenso förmliche Standardabsage. Das war sicherlich ein gewichtiger Moment für meine Entscheidung. Ich dachte mir, mag sein, dass ich keine Ahnung habe, aber ich mache das trotzdem mal lieber selber. Außerdem erschien mir das würdevoller.
Apropos Würde. An dieser Stelle würde ich gern folgenden Rat loswerden. Wer schon während des Studiums ziemlich genau weiß, in welche Richtung es für ihn oder sie einmal gehen soll und wer demzufolge erste Praxiserfahrung sucht: Macht kein unbezahltes Praktikum und macht am besten gar kein Praktikum! Ich habe mir einst im Zuge eines Praktikums von einer Frau im Alter meiner Mutter anhören müssen, dass sie solch hübsche Praktikanten nie für ihre Abteilung zugeteilt bekäme. Ich habe das unbeschadet an Leib und Seele überstanden und fand es trotz der Skurrilität der Situation amüsant, aber es ist bezeichnend für die fehlende Anerkennung dieser Rolle eines Kollegen oder einer Kollegin. Und diese fehlende Anerkennung gründet letztendlich auf der fehlenden monetären Anerkennung in Relation zu den weiteren Mitgliedern in der Organisation. Für mich ist es ein Trugschluss, jemanden schlecht oder gar nicht zu bezahlen, weil er Wissen oder Fähigkeiten gegenüber anderen aufzuholen hat. Das führt zu einem Spargelstecher-Phänomen unter Menschen, denen erzählt wurde, sie könnten einst ihr Wissen und die neu gewonnenen Erkenntnisse in wiederum neue Ideen in den Unternehmen, Vereinen und politischen Parteien von morgen umsetzen. Mein Tipp ist, ein Gewerbe anzumelden und als freier Mitarbeiter in den Bereichen tätig zu werden, die einen interessieren.
Das ist natürlich auch zu einem Teil mein eigener Weg, den ich hier propagiere. Abgesehen von verschiedenen Praktika war ich schon während des Studiums nebenberuflich tätig, sodass ich nicht sagen kann, es hätte für die Selbstständigkeit bei mir eine Initialzündung gegeben. Hauptberuflich bin ich jedoch erst seit dem Jahr 2016 selbstständig. In gewisser Weise hatte ich keine Lust darauf, mich in irgendeinem Job unterwertig anzudienen und ich kann mich nur wiederholen, dass ich es auch niemandem raten würde.
Das ist manchmal schwer auszuhalten, weil ich weiß, wie mühsam sich eine Jobsuche gestalten kann. Das trifft nach meiner Erfahrung allerdings Ausbildungsberufe, wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge und Sozial- sowie Geisteswissenschaften gleichermaßen und ereilt nicht entsprechend der breit geführten Diskussion ausschließlich Absolventen der sogenannten brotlosen Studiengänge. Ein anderer Grund für die Selbstständigkeit im Hauptberuf war der Fakt, mir selber Ziele geben zu können, eigene Ideen umsetzen zu können, keine festen Arbeitszeiten zu haben und arbeiten zu können von wo immer ich wollte.
Das klingt sehr weitreichend, aber ich bin in einem Netz von Vorschriften, compliance codes und informalen Strukturen wie dem gemeinschaftlichen Gang in die Kantine, mit Menschen, die man sich nicht selbst ausgesucht hatte, nie wirklich gut klargekommen. Es geht mir auch bis heute nicht ein, weshalb jemand 05.00 Uhr aufsteht, um 06.30 Uhr an einem Schreibtisch zu sitzen, von dem aus er oder sie knappe 2 Stunden nicht handlungsfähig ist. Ich möchte meinen eigenen Rhythmus leben und die Selbstständigkeit gewährt mir das bisher zu einem beachtlichen Ausmaß.
Heute kann ich mich bspw. ohne schlechtes Gewissen diesem Text widmen. Insofern fiel mir die Entscheidung nicht sonderlich schwer, wenngleich ein Startkapital für eine Gründung natürlich nie ganz außer Acht zu lassen ist. Was mich bzw. meine Social Media Agentur betrifft, waren die Investitionskosten vergleichsweise niedrig. Wer höhere Kosten in Form von Maschinen, Büro- oder Lagerräumen zu bewältigen hat und zudem über keinerlei Eigenkapital oder eine gewisse Rückendeckung durch staatliche Förderungen und anderweitige Geldgeber verfügt, für den mag die Selbstständigkeit als Risiko erscheinen.
Ich habe meinen Schritt in die Selbstständigkeit aber nie als mutig empfunden. Eventuell ist zu viel Wissen dabei auch hinderlich. Denn zugegebenermaßen steigen dann doch erst einmal die Kosten, bevor Geld in die Kasse zurückfließt. Gründerberatung, Buchhaltungssoftware, Website-Template, Hosting, Versicherungen, Computer- bzw. Fototechnik, Weiterbildungen und nicht zuletzt Ausgaben für das eigene Marketing schlagen beachtlich zu Buche.
Ich muss vielleicht vorausschicken, dass ich an einem Ort gegründet habe, an dem Lebensformen wie jene des digitalen Nomadismus, arbeiten im Home-Office oder allgemein selbstständige bzw. unternehmerische Tätigkeiten mit keinem strikten Tagesablauf nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit darstellen, wie sie es bspw. in Berlin-Friedrichshain sind.
Das stellt keine unmittelbare Konsequenz in Bezug auf mein Handeln dar, aber ich fühle mich zumindest von dieser Geisteshaltung in irgendeiner Form beeinflusst. Aus diesem Grund nehme ich auch gerne Möglichkeiten wahr, zeitweilig an anderen Orten zu arbeiten bzw. meine Kunden in Luzern, Berlin oder in Stadt xy zu besuchen. Ich empfinde das als eine Art Freiheit, die mir die Selbstständigkeit gewährt und in einer Auflistung der positiven Aspekte meiner Arbeit lassen sich wohl alle primären Faktoren mit Freiheit übertiteln. Ich bin grundsätzlich frei, meine Arbeit zu beginnen, wann ich es möchte oder etwas pathetischer ausgedrückt, wenn die Kreativität sprießt.
Meine physische Präsenz spielt in der Regel keine Rolle und ich muss vor niemanden außer mir selbst Rechenschaft über mein Tagewerk ablegen. Ich sitze Zeit nicht sinnlos ab.
Aber es kommt vor, dass ich Zeit absitze. Ich habe die theoretische Möglichkeit, Hobbys nachzugehen, Freunde zu treffen und antizyklisch meine Urlaube zu planen. Ehrlicherweise fängt es da aber schon an zu kippen. Ich meine, es war Reinhold Messner, der sinngemäß sagte, die Pflicht als solche gebe es nicht, aber er verpflichte sich. Ich rechne nicht nach, wie viele Stunden ich am Tag oder in der Woche arbeite – das habe ich mir verboten, um in Gesprächen mit anderen Unternehmern, Selbstständigen oder Freunden nicht diesem Wettlauf um die vermeintlich höhere Belastung zu verfallen.
Aber es ist ganz sicher der Fall, dass einen die Selbstständigkeit sehr einnimmt und die Gedanken zu verschiedenen Projekten nicht einfach abgeschaltet werden könnten, nur weil der PC heruntergefahren und damit der vermeintliche Feierabend eingeläutet ist. Wenn ich also keinem Mobbing, keiner Missgunst oder Konkurrenzdenken ausgesetzt bin, dann doch jenem Druck, dass es in meiner Verantwortung liegt, ob am Ende des Monats ein Plus oder ein Minus auf dem Kontoauszug steht. Ebenso kann ich mich hinter niemandem verstecken.
Ich muss mich unangenehmen Aufgaben stellen, erhalte aber den ganzen Dank, wenn wieder ein Erfolg verbucht werden konnte. Es ist ein Auf und Ab, begleitet von Zweifeln und Euphorie. Aber wahrscheinlich würde es mich langweilen, wenn es nicht so wäre.
Eine beträchtliche Konsequenz bezeichnet im Übrigen der Stundenlohn, den ich verlange. Mir scheint, das ist ein Thema, über das nicht gern gesprochen wird. Wenn man aus dem Angestelltenverhältnis kommt, erscheint es einem zuweilen unverschämt, was ein Selbstständiger sich anmaßt an Geld pro Stunde zu verlangen. Gewiss gibt es branchenspezifisch Exoten oder Ausreißer sowie fragwürdige Stundenlöhne. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass der Stundenlohn des Angestellten niedriger und teilweise deutlich niedriger ist.
Das ist ein Punkt, mit dem ich mich nach und nach anfreunden musste und ich habe stets recht knapp kalkuliert. In meinem Stundenlohn steckt im Wesentlichen nicht der Gegenwert meiner Arbeit, sondern Miete, eine Betriebshaftpflicht- und Vermögenshaftpflichtversicherung, Ausfälle wegen Krankheit oder Urlaub, Zeit für Buchhaltung und Steuer, Kosten für Marketing, Korrekturschleifen, elektronische Geräte, Kosten für Mobilität, Krankenversicherungsbeiträge, die ich komplett selber trage, Software und Weiterbildungen.
Und bei dieser ganzen Blase habe ich noch nichts verdient. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich Unternehmer heute mit anderen Augen sehe. Wer bspw. mehrere Angestellte beschäftigt, trägt eine ziemlich hohe Verantwortung. Wenn ich also weiter oben einen Seitenhieb auf unterwertige Beschäftigungsverhältnisse ausgeteilt habe, dann muss ich an dieser Stelle ehrlicherweise erwähnen, dass es auch eine ordentliche mentale Belastung sein kann, sich dieser Verantwortung zu stellen. Ich arbeite aktuell mit Freelancern, weshalb mich das nicht in dem Ausmaß trifft. Ich habe allerdings großen Respekt vor all jenen, welche den Kosten zum Trotz Arbeitsplätze schaffen und das Risiko – rechnerisch betrachtet ist es nun mal eines – schultern.
Nicht zuletzt schwingt bei mir bezüglich der Selbstständigkeit möglicherweise eine sehr persönliche Komponente mit. Meine Eltern hatten jeweils klare Berufs- bzw. Studienziele, die ihnen beiden verwehrt blieben. Ich habe es nie als Auftrag empfunden, jene Wünsche anstatt ihrer auszuleben, aber ich bin in einem Bewusstsein aufgewachsen, dass eine freie Wahl nicht selbstverständlich ist. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb ich jede auch nur angedeutete Einschränkung meiner Freiheit als Brüskierung empfunden habe und mich in Angestelltenverhältnissen nicht so wirklich arrangieren konnte.
In Bezug auf Fähigkeiten und was ich hätte anders machen können, möchte ich die Beantwortung der Frage gern damit beginnen, in die letzten Jahre meiner Schulzeit zu blicken. Dabei geht es mir konkret um das Thema Informatik. Während in der siebten Klasse noch relevant schien, ob die Maustechnik nun „zeigen“ oder „fahren“ heißt [Ich kann es in der Rückbetrachtung nicht fassen, dass solche Banalitäten tatsächlich einmal klausurrelevant waren], lernte ich in der Sekundarstufe II völlig realitätsfern, Ampelkreuzungen mit einer total abseitigen Programmiersprache zu programmieren.
Kurzum, Informatik war etwas von „Nerds“ für „Nerds“. Die Pointe ist nicht zu subtil – heute sehe ich das natürlich anders und ich wäre froh, über ein fundierteres Grundwissen im Bereich der Programmierung zu verfügen. Meine bescheidenen Erfahrungen im Bereich des öffentlichen Dienstes stimmen mich allerdings nicht allzu optimistisch, dass Bildung, so wie sie derzeit strukturell gehandhabt wird, jemals auf Höhe der Zeit sein könnte. Ich sehe hier großen Nachholbedarf was die technische, aber auch die soziale Wirkweise des „Netzes“ betrifft.
Welcher Lehrer möchte von sich behaupten, die Lebensrealität seiner Schüler zu begreifen, wenn er Snapchat nicht versteht? Teil meines Berufes ist es also, ein zumindest basales Wissen von Programmierung, Verschlüsselung, Suchmaschinenoptimierung, Metadaten, Betriebssystemen und Software vor allem aus dem kreativen Bereich zu besitzen. Ich wage drüber hinaus zu behaupten, dass Wissen in diesen Bereichen für alle zukunftsträchtigen Berufe relevant ist und langfristig relevant bleiben wird. Selbst wenn einem diese Bereiche nicht liegen, lohnt es, sich damit auseinanderzusetzen.
Um der Beantwortung der eigentlichen Frage weiterhin aus dem Weg zu gehen, möchte ich als nächstes die viel zitierten „soft skills“ anführen. „Nein“ zu sagen ist bei dem, was ich mache, eine Kernkompetenz. Das klingt erst einmal großspurig und ich bin lange noch nicht an dem Punkt, an welchem ich in diesem Bereich gern wäre.
Wer beginnt, sich selbstständig zu machen, möchte aus Gründen des Enthusiasmus und vor allem des Geldes für alle und jeden arbeiten. Aber nicht jeder ist der perfekte Kunde. Es gibt, und das ist eine traurige Wahrheit, Kunden, für die ich gern arbeiten würde, welche aber aufgrund der Art der Zusammenarbeit für mich ausscheiden. Es ist Teil der Arbeit innerhalb meiner Branche, dass von der ersten Begegnung, über ein leichtes „brainstoming“, über Angebote inkl. Rückfragen und Nachverhandlungen, Nachbesserungen sowie die Ausführung bis zur endgültigen Bezahlung meiner lange erbrachten Leistung Wochen und manchmal Monate ins Land gehen.
Das Ausmaß dieses Phänomens scheint dabei mit der Größe der Unternehmen proportional zu wachsen. Grundsätzlich ist das das Risiko, welches ich trage. Darüber hinaus gibt es aber Kunden, welche sich offenhalten, aus einer Vielzahl von Angeboten zu wählen, keine verlässliche Zuarbeit leisten oder Geld aufgrund freundschaftlicher Verbindungen zurückzuhalten. Während in größeren Unternehmen derlei Engpässe einkalkuliert werden können, bringen mich solche Mechanismen zum Teil derart in Bedrängnis, dass ich es mir vorbehalte, mit ausgewählten Unternehmen nicht zusammenzuarbeiten, wenn sich derartige Mechanismen abzuzeichnen beginnen.
Was die Gestaltung des Studiums betrifft, kann ich nur wenige Empfehlungen geben, die sich auf meinen Beruf oder meine Arbeit beziehen lassen. Wenn ich heute allerdings noch einmal 18 Jahre alt wäre und ich müsste mich für ein Studium entscheiden, dann würde ich vor allem bei der Auswahl des Studienortes anders vorgehen.
Ich kann demzufolge nur jedem raten, sich über die Gegebenheiten und Möglichkeiten bezüglich des Studiengangs am jeweiligen Studienort genau zu informieren. Es ist mittlerweile bestimmt kein Geheimnis mehr, dass die Uni Bielefeld für Soziologen eine der besten Adressen ist und ich kann das persönlich nur unterstreichen. Daher würde ich, wenn ich noch einmal studieren würde, hier meinen Bachelorabschluss machen und bereits während dieser Semester einen Auslandsaufenthalt einlegen.
Den Masterstudiengang würde ich komplett an einer ausländischen Universität absolvieren, wobei ich hier natürlich aus eigener Erfahrung die Universiteit van Amsterdam empfehlen kann. Man muss aber selber wissen, was man will und danach auswählen. Ich möchte jedoch hervorheben, dass ich zu meinen Studienzeiten ausländische Kontakte unterschätzt habe. Das hat viele Facetten. Man lebt in einem anderen Land, ist mit anderen Gesetzen und Gepflogenheiten konfrontiert (selbst wenn sie marginal sind), muss sich in einer anderen Sprache verständigen, zusammenarbeiten, Verträge unterzeichnen, Streitigkeiten ausfechten.
Man lernt sich selbst neu kennen und man erarbeitet sich eine neue Sichtweise zu verschiedensten Dingen. Nicht zuletzt knüpft man Kontakte, schmiedet Freundschaften und erlebt auch das eine oder andere Abenteuer. Es mag vielleicht etwas billig wirken, dass gerade ich in diesem Zusammenhang Social Media erwähne, aber ich habe erst im Laufe meiner Selbstständigkeit Kontakt zu alten Kommilitonen aufgenommen, mit denen ich mich damals aufgrund eines missinterpretierten Begriffs von „Freundschaft“ auf Facebook nicht „vernetzt“ habe. Das klingt auf den ersten Blick etwas instrumentell. Tatsächlich ist es aber so, dass die Lebenswege oftmals noch erstaunliche Wendungen nehmen und man sich später näher ist, als man einst dachte, dass man es sein könnte.
Ich möchte aber nicht ganz so beliebig sein wie die einschlägigen Flyer zum Studienfach Soziologie, die den potenziellen Studierenden mitunter alles, aber auch nichts sagen. Man kann in der Tat viel mit einem Soziologieabschluss anfangen. Die Anknüpfungspunkte zur jeweiligen Tätigkeit werden jedoch erheblich durch die Wahl der Vertiefungsgebiete beeinflusst. Wenn ich mich im Hinblick auf eine Empfehlung bezüglich des Social Media Marketings also auf konkrete Felder festlegen soll, lautet mein Rat, sich organisationssoziologisch, möglicherweise mediensoziologisch auszurichten und fundierte Kenntnisse in den Methoden der empirischen Sozialforschung zu erlernen. Allerdings gilt es zu beachten, dass die Themen in der Organisationstheorie universitätsübergreifend variieren und die methodische Ausrichtung einmal qualitativ und einmal quantitativ geprägt sein wird.
Als Soziologe muss ich auch die Beantwortung dieser Frage in einen Mantel betten. Ich hatte bereits nebenberuflich und zu unterirdischen Konditionen als Texter gearbeitet. Von der Beschreibung von Plattenlegehämmern für Handwerker-Online-Shops, über die Präsentation von Urlaubsdomizilen bis zur Darstellung von Dates mit Escort-Dienstleistern bzw. -dienstleisterinnen war da thematisch viel dabei. Ich hatte schon immer Spaß an Formulierungen und mochte das Schreiben, aber selbst nicht die Hoheit über die jeweiligen Aufträge zu haben, hat mich sehr gestört, zumal mich nicht jedes Thema brennend interessiert hat und ich doch immer den Anspruch habe, die bestmögliche Arbeit abzuliefern.
Während solch eines Zwischenstadiums schien das noch okay. In Anlehnung daran sei erwähnt, dass ich während meines Studiums in Amsterdam als Fahrradkurier gearbeitet habe. Der coolste Job der Welt – zumindest solange, bis man dann einmal etwas Vernünftiges macht. Jedenfalls war das stets meine Denke in Bezug darauf. Aber als sich abzuzeichnen begann, dass das mit dem Texten für Agenturen nicht mehr nur etwas für den Übergang war, sondern sich festzufahren begann, überkam mich der Drang, etwas zu ändern. Überspitzt formuliert teilten sich dann die Alternativen in „auf Güterzüge in Canada“ springen und eine Werbeagentur gründen auf. Von beidem hatte ich nicht viel Ahnung und nur in Büchern gelesen. Ich war nicht einmal ein Social-Media-Native, hatte nie ein MySpace-Profil und hatte erst spät den Absprung von StudiVZ zu Facebook gefunden. Der Rest ist Geschichte.
Die schreiberische Komponente sollte bleiben und meine Intention war, den ganz offenbar vorhandenen Bedarf an der Pflege von unternehmerischen Social-Media-Profilen zu decken. Dabei wollte ich mich vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen fokussieren, denen es in der Regel an „manpower“, aber vor allem auch an „know how“ fehlt, diesen Bereich angemessen abzudecken bzw. selbst zu bearbeiten.
Damit begann alles bzw. war das die Grundidee vom Kollektiv13. Social-Media-Marketing bzw. die Wartung einzelner Präsenzen im Auftrag von Unternehmen beinhaltet aber nun einmal auch den Bedarf an Text sowie Bild und mittlerweile auch immer mehr Video. Aus diesem Grund biete ich Texte oder Produktfotografie auch als abgekoppelte Dienstleistung an, wenn bspw. das Schreiben eines Blogs für Unternehmen von Interesse ist. Insgesamt kann man sagen, dass ich von der Analyse, über die Konzeption und Planung, bis hin zur Durchführung von Marketingmaßnahmen im Bereich Social Media sämtliche Aufgaben übernehme.
Wie umfangreich meine Betreuung oder auch meine Beratungsleistung ausfällt hängt immer auch von den Bedürfnissen, den Möglichkeiten und den Zielen meiner Kunden ab. Es kommt also durchaus vor, dass ich für ein Café mehrere Präsenzen auf Social Media inklusive einer vorhandenen Webseite vollumfänglich manage, einen regelmäßigen Blog im Auftrag eines Möbelhauses schreibe und einer Fotografin einen Social Media Brand Guide anfertige, nach dessen Empfehlungen sie selbst ihr Marketing umsetzen kann.
Darüber hinaus habe ich in der Vergangenheit auch Tätigkeiten ausgeführt, die ich nicht konkret nach außen kommuniziere. Dazu gehören unter anderem das Erstellen von Webseiten, das Erarbeiten von Layouts für Visitenkarten oder kleinere Versuche im Bereich Videografie. Ich wage diesbezüglich auch keine Prognose abzugeben, was eines Tages für das Kollektiv13 und mich an Bedeutung gewinnen oder verlieren wird. Ich schließe genauso nicht aus, dass es früher oder später ein paar Zeilen von mir in einem Magazin oder einer Zeitung zu lesen gibt.
Einen typischen Alltag gibt es für mich nicht. Ich hätte bspw. gern eine feste Morgenroutine, aber auf wundersame Weise scheint diese unerreichbar. Es kommt vor, dass ich 07.00 Uhr oder 08.00 Uhr bei Kunden sein muss, was mich allerdings eher stresst, da ich ein Abendmensch bin. Es ist keine Seltenheit, dass ich anfange, mich abends 21.00 Uhr an eine Aufgabe zu setzen und ich mich selber bremsen muss, um 03.00 Uhr am nächsten Morgen eine Pause einzulegen. Ich genieße die Stille sowie die Gewissheit, dass kein Anruf eingeht, kein Postbote klingelt oder Facebook-Nachrichten beantwortet werden wollen.
Unglücklicherweise kollidiert dieser „Unrhythmus“ zum Teil mit den Zeiten der Follower und Fans meiner Kunden. Da beginnen so manche Menschen um 05.00 Uhr ihr Tagewerk. Ich vermute, dass ich den besten Job mache, solange niemandem auffällt, dass auch ich einmal pausiere. Man kann das analysieren, beklagen oder schlecht finden, aber meine Arbeit hat viel damit zu tun, im Namen meiner Kunden die Illusion eines permanenten Austauschs bzw. einer fortwährenden Bereitschaft aufrechtzuerhalten. Ich selbst erwische mich dabei, dass ich unruhig werde, wenn ich als Premium-Kunde beim Versandhandel meines Vertrauens einen Tag länger als erwartet auf meine Bestellung warten muss. Genau darin liegt sicherlich die soziologische Relevanz meines Berufs verborgen.
Ich habe überwiegend viel Spaß an den Dingen, die ich tue. Jene wenigen Aufträge, welche so sehr Spaß machen, dass man sie fast für seine eigenen Projekte halten könnte, weil es so viele Schnittmengen bezüglich der eigenen Interessen gibt, sind in der Regel leider Jobs, an denen ich nicht wirklich etwas verdiene. Andererseits haben mich derartige Projekte wieder Dingen nahe gebracht, welche mir in der Vergangenheit sehr wichtig waren.
Aktuell unterstütze ich ein Vorhaben, innerhalb dessen Spenden für den Elternverein krebskranker Kinder e.V. Chemnitz eingeworben werden. Dabei begleite ich einen Ultramarathonläufer nicht nur medial als Social-Media-Manager, sondern auch als Begleitfahrer auf dem Fahrrad bei seinem Vorhaben, das Goldsteig Ultrarace über 661 km zu bestreiten. Gerade komme ich von einem gemeinsamen Testlauf, in welchen ich leider relativ untrainiert gestartet bin. Nichtsdestotrotz hat es mich wieder etwas gepackt und eine Art Arbeit auf dem Fahrrad ist es schließlich auch. Das ist nicht zuletzt ebenso eine Form der Freiheit, derart berufliche und private Interessen zu verbinden.
Kundenakquise und Buchhaltung sind für mich persönlich unliebsame Themen, weshalb ich mich hier kurzfassen werde. Beides verschlingt leider so viel Zeit, dass ich es am liebsten auslagern würde und es gibt mittlerweile auch gute Möglichkeiten, das zu tun. Was ich anbiete, ist erst einmal recht erklärungsbedürftig und der Fakt, dass der eine oder andere potenzielle Kunde schon einmal den Eindruck zu erwecken versucht, in die Materie eingelesen zu sein, es aber de facto nicht ist, trägt nicht dazu bei, stets dieselbe Sprache zu sprechen. Es passiert mir immer noch, dass ich das Gefühl habe, über die Köpfe der Kunden hinwegzureden, weil diese mit Begriffen hantieren, welche sie mutmaßlich bei Business-Seminaren aufgeschnappt haben.
Entscheidend ist aus meiner Sicht, den Punkt zu erkennen, an welchem man so viel Zeit bspw. in Kundenakquise oder Buchhaltung steckt, dass die Arbeit unrentabel wird. Gerade in der Anfangsphase eines Unternehmens – ohne Business-Angel im Hintergrund – erachte ich es aber als normal, dass sich die Relationen dahingehend verschieben.
Ich kann von meiner Arbeit leben, glaube aber von mir selbst, dass ich nicht auf großem Fuß lebe. Die Verlockungen sind auch nicht gering, vor allem wenn man anfängt, sich mit anderen Gründern zu vergleichen. Ich habe vor und während meiner Gründungsphase viele gewinnbringende Gespräche mit den verschiedensten interessanten Menschen geführt, welche ich wahrscheinlich ohne meine Selbstständigkeit nie kennengelernt hätte. Eine Mantra, welches ich als Kondensat aus diesen Konversationen gezogen habe, ist mit Sicherheit, unter seinen Möglichkeiten zu leben.
Ich glaube, dass ein Soziologiestudium grundsätzlich ein guter Weg ist. Es vermittelt ein differenziertes Verhältnis zum Wahrheitsbegriff, wie er alltagssprachlich verwendet wird und gewährt Einblick darin, sich selbst in einem breiteren Kontext zu begreifen.
Ich bewundere an guten Soziologen, dass sie in gewisser Weise über den Dingen stehen, ohne dabei jedoch zwingend arrogant zu wirken. Ein nüchternes und entemotionalisiertes Vorgehen stünde der Weltpolitik dieser Tage besonders gut zu Gesicht. Leider ist verschiedentlich ja entsprechendes soziologisches Wissen vorhanden, aber die Personen finden in der Breite kein Gehör oder es fällt schwer, mit der Einsicht zu leben, dass es unmöglich ist, eine Stellschraube der Gesellschaft zu verstellen, ohne dass sich dadurch nicht an anderer Stelle gleichsam Werte verschieben, um es einmal ganz einfach zu formulieren. Wer sich immer aufs Neue über das soziale Leben wundern bzw. an gesellschaftlichen Phänomenen abarbeiten kann, wird sicher seine Freude an der Soziologie haben.
Der große Vorteil als Social-Media-Manager in der aktuellen Situation ist aus meiner Sicht, dass es kein Studium gibt, welches explizit darauf vorbereiten würde, ein Social-Media-Manager zu werden. Demzufolge handelt es sich bei den entsprechenden Menschen – wie auch häufig in anderen Berufen der Kreativbranche – um sogenannte Quereinsteiger. Es finden sich BWLer ebenso wie Germanistik-, Romanistik- oder Soziologieabsolventen. Im Umkehrschluss ist es daher sekundär, auf welchem Wege jemand zur Social-Media-Agentur gelangt.
Meine Überzeugung im Hinblick auf das Studium oder Studiengänge im Speziellen hat sich im Laufe meines eigenen Studiums darüber hinaus eher dem Humboldt’schen Ideal von Bildung bzw. dem universitären Auftrag angenähert. Ein Universitätsstudiengang muss nach meiner Auffassung nicht primär auf einen Beruf oder noch enger gefasst auf einen Job vorbereiten. Es gibt genügend Möglichkeiten, an Berufsakademien, Fachhochschulen, privaten Instituten oder innerhalb von Ausbildungen sehr praxisorientiert und mit wirtschaftlichem Fokus auf ein Berufsziel hinzuarbeiten.
Mittlerweile gibt es schon die Möglichkeit, an sogenannten Online-Akademien Seminare zu absolvieren, welche einen zertifizierten Abschluss als Social-Media-Manager zum Ziel haben und auch diverse Industrie- und Handelskammern bieten entsprechende Weiterbildungen an. Aufbau und Inhalt derartiger Formate entziehen sich allerdings meiner Kenntnis. Solche Geschäftsmodelle muss es aber offenbar auch geben.
Die Bezüge meiner Arbeit zur Soziologie sind vielschichtig. Es handelt sich aber um keine exklusiven Verknüpfungen bzw. lassen sich je nach Fokus auch Verbindungen zu anderen Wissenschaftsdisziplinen ziehen. Wenn es um Zielgruppendefinitionen geht, ist etwas Wissen über Sozialstruktur, Demografie oder Statistik nicht ganz unwichtig.
Eine gewisse Analyse- und Abstraktionsfähigkeit hilft sowohl bei der Konzeption als auch bei der Auswertung von Kampagnen. Organisationssoziologisches Wissen kann ungemein nützlich sein, Mechanismen in den Unternehmen von Kunden bzw. potenziellen Kunden zu erkennen und anhand derer Rückschlüsse zu ziehen, wie sich im Einzelfall eine Zusammenarbeit gestalten wird.
Gerade Kenntnisse über die informalen Strukturen einer Organisation gepaart mit der Kenntnis darüber, dass jene informalen Strukturen die formalen Strukturen unterwandern, können ausschlaggebend sein, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll erscheint oder nicht. Was meine Beratung betrifft, bin ich selbst immer wieder begeistert davon, „blinde Flecken“ bei Kunden aufdecken zu können – bei der gemeinsamen Beobachtung des Unternehmens meiner Kunden bin ich aus systemtheoretischer Sicht immer der Beobachter zweiter Ordnung.
Sich diesen Fakt stets bewusst zu machen und daher auch zu wissen, dass ich nicht alles „sehe“ ist ebenfalls sehr hilfreich. Jenes analytische oder negativ formuliert verkopfte Denken, welches möglicherweise vielen Studienabsolventen auf eine Art inhärent ist kann sich aber auf der anderen Seite auch als hinderlich für die eigene Selbstständigkeit oder das Unternehmertum erweisen. Manchmal geht es einfach darum, etwas durchzudrücken. Sofern man handlungsfähig bleiben möchte, fällt dann die letzte Analyse oder das Durchdenken der eigenen nächsten Schritte, das antizipieren von Problemen bzw. Hindernissen ein wenig nach hinten ab.
Soziologen, die sich gerne als Social-Media-Manager selbstständig machen, respektive eine Social-Media-Agentur oder auch Online-Marketing- bzw. Werbeagentur gründen möchten, rate ich im Wesentlichen drei Dinge.
Erstens sollten sie sich mit den „richtigen“ Leuten umgeben bzw. ein Umfeld schaffen, welches ihnen ein Höchstmaß an Anregung einerseits aus ihrem eigenen Arbeitsbereich, aber andererseits auch aus angrenzenden Bereichen bietet.
Zweitens empfehle ich, sich Input und Wissen von jenen Menschen zu holen, die bereits das machen, was man selbst noch erreichen möchte, ohne sich jedoch von deren Zugängen abhängig zu machen oder diese zu imitieren.
Mein dritter Appel ist ganz klar, nicht auf die Ratschläge anderer zu hören – inklusive der von mir gegebenen.
Das hat viele Gründe, die unter anderem damit zu tun haben, dass Menschen auch in einem recht dynamischen Umfeld betriebsblind werden können oder dass jemand für eine spezifische (andere) Zielgruppe arbeitet. Zudem kommt man nicht umhin, seine eigenen Erfahrungen zu machen, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln und seine persönliche Ausrichtung dementsprechend zu korrigieren. Sofern man als Einzelunternehmer bzw. –unternehmerin beginnt, steckt schließlich immer viel Persönlichkeit in dem jeweiligen Unternehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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