Dr. Peter Biniok
Kategorie: Bildung, Forschung & Lehre
Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Innung "Sanitär, Heizung, Klempner, Klima"

Dr. Peter Biniok

Peter Biniok ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Praxisforschung tätig. Seit 2018 ist er bei der Innung "Sanitär, Heizung, Klempner, Klima" in Berlin angestellt. 

Wie sind Sie zur Soziologie gekommen?

Ich habe zunächst Informatik studiert. Während des Hauptstudiums (es war ein Diplomstudiengang) habe ich gemerkt, dass die reine Programmierarbeit zwar faszinierend ist, mir jedoch nicht besonders liegt. Meine fachlichen Schwerpunkte setzte ich dann auch auf Datenbanken und Informationssysteme sowie das Thema Informatik und Gesellschaft. In diesen Spezialisierungen des Informatikstudiums geht es um die Modellierung von Welt, rechtliche Aspekte der Digitalisierung und bspw. die Frage, inwiefern computerisierte Büroarbeitsplätze menschengerecht sind. In gewisser Weise deutete sich damit an, dass mich das Soziale an Technik interessiert.

Außerhalb des Studiums habe ich mich zudem eher mit Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschäftigt, anstatt die neuesten Hard- und Softwareentwicklungen. Ich habe mir irgendwann ein Buch zu den Grundlagen der Soziologie gekauft und seit ich damit in Berührung gekommen bin, wusste ich: von diesem Berufsfeld möchte ich mehr wissen und in diesem Bereich möchte ich arbeiten. Also habe ich das Studium der Informatik abgeschlossen und parallel mit dem Soziologie-Studium begonnen.

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Wie verlief Ihr Studium?

Beide Fächer, Informatik und Soziologie, habe ich an der Technischen Universität Berlin studiert. Ich bin also genau genommen Techniksoziologe und beschäftige mich originär mit dem Verhältnis und Zusammenspiel von Technik und Gesellschaft, also den Fragen, inwiefern Technik die Gesellschaft beeinflusst und vice versa Gesellschaft die Technik formt. Die Techniksoziologie geht überdies davon aus, dass Technik und Soziales nicht getrennt betrachtet werden können und nimmt infolgedessen soziotechnische Konstellationen und Systeme in den Blick.

Wie ist Ihre bisherige Karriere verlaufen?

Praktika im eigentlichen Sinn habe ich kaum besucht, sondern bin bereits als studentischer Mitarbeiter in die Projektforschung eingestiegen. Es handelte sich dabei um ein Projekt im Forschungsbereich “Sozionik”, also an der Schnittstelle von Soziologie und Informatik. Es ging dabei um die Modellierung von Multiagentensystemen nach realweltlichen Vorgaben - und das hat mir gezeigt, dass meine Doppelqualifikation durchaus sinnvoll ist.

Meine Promotion im Bereich Wissenschafts- und Technikforschung beschäftigte sich mit Nanowissenschaften und Nanotechnologie und sollte eine Etappe in meiner akademischen Laufbahn sein. Es kam allerdings anders.

Grundlagenforschung, wie sie Promotionen oft zugrunde liegt, und das Gewinnen von neuen Erkenntnissen sind typische Tätigkeiten in der Soziologie. Der fachinterne Wissensvorrat wird diskutiert, konsolidiert und erweitert. Mein Interesse entwickelte sich jedoch vielmehr dahingehend, aus der Arbeit als Soziologe auch direkte Veränderungen (in) der Gesellschaft zu bewirken. Dahinter verbirgt sich eine spezifische Sichtweise auf Soziologie als Profession, nämlich - etwas plakativ formuliert - die Ergebnisse soziologischer Forschung direkt für gesellschaftliche Transformationsprozesse einzusetzen.

So bin ich dann über anwendungsbezogene Projekte zu einem Arbeitgeber außerhalb des Hochschulsystems gelangt. Aktuell arbeite ich bei der Innung Sanitär, Heizung, Klempner, Klima (SHK) in Berlin. In unserem Projekt untersuchen wir Ursachen für vorzeitige Vertragslösungen in der dualen Ausbildung im Beruf Anlagenmechanikerin und Anlagenmechaniker SHK und entwickeln und erproben geeignete Maßnahmen, die letztlich darauf abzielen, die Ausbildungsqualität zu erhöhen. Dazu gehören u.a. eine Broschürenreihe für Ausbildungsbetriebe, Schulungen für Ausbilderinnen und Ausbilder sowie E-Learning-Angebote. Dabei stehen weniger techniksoziologische Inhalte im Vordergrund - jedoch sind Soziologinnen und Soziologen glücklicherweise sehr flexibel in Bezug auf ihre Arbeitsbereiche.

Sie bezeichnen sich als “Praxisforscher” - was genau meinen Sie mit diesem Begriff? 

Wenn ich mich als Praxisforscher bezeichne, dann ist dies eine Positionierung innerhalb der Soziologie, die sich an den angewandten Sozialwissenschaften orientiert. Damit verbunden ist der Anspruch, Herausforderungen und Problemlagen in der Praxis, also im Lebens- und Arbeitsalltag von Akteurinnen und Akteuren, zu untersuchen und Veränderungen anzustoßen. 

Dabei spielen die Praktikerinnen und Praktiker selbst eine entscheidende Rolle, denn die Modifikation sozialer bzw. soziotechnischer Strukturen geschieht mit und durch diejenigen, die es betrifft. So können Soziologinnen und Soziologen diejenigen sein, die eine “soziale Dynamisierung” in Gang setzen. Ziel ist es, die Adressatinnen und Adressaten eines Projektes im Transformationsprozess zu begleiten, ihnen - empirisch fundierte - Handlungsoptionen aufzuzeigen und gemeinsam Maßnahmen zu testen und zu evaluieren. 

Soziologinnen und Soziologen sind in diesem Sinn Gestalter*innen von Gesellschaft.

Im aktuellen Projekt bedeutet das, aufbauend auf einer Bedarfsanalyse, zusammen mit den Betriebsangehörigen, Auszubildenden und weiterem Ausbildungspersonal (etwa Berufsschule) die Instrumente zu erarbeiten, im Arbeitsalltag auszuprobieren und die Wirksamkeit zu bestimmen. Im gesamten Zeitraum kommen immer wieder soziologische bzw. sozialwissenschaftliche Methoden, sowohl qualitativ als auch quantitativ, zum Einsatz.

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Was zeichnet die außeruniversitäre wissenschaftliche Arbeit aus? 

Die Entscheidung für eine außeruniversitäre Tätigkeit hat sich, wie oben beschrieben, zum einen aus der Orientierung hin zur Praxisforschung ergeben. Zum anderen sind Arbeitszeiten außerhalb des Hochschulsystems eine Voraussetzung für eine Professur an Hochschulen. Insofern halte ich mir die Option offen, erneut einen akademischen Karriereweg einzuschlagen. 

Ich würde drei wesentliche Unterschiede zwischen Forschung innerhalb und außerhalb des Hochschulsystems hervorheben. Erstens sind die Maßstäbe für die wissenschaftliche Arbeit anders. Während an Hochschulen und Universitäten das Hauptaugenmerk auf dem präzisen und konventionellen Einsatz sozialwissenschaftlicher Methoden liegt, zählt außerhalb vor allem die pragmatische Umsetzbarkeit von Untersuchungskonzepten. Dies ist oft in der Ressourcenausstattung der Projekte begründet.

Zweitens existiert bei Forschung außerhalb des Hochschulsystems ein erhöhter Kommunikations-, Kooperations- und Legitimierungsaufwand zwischen Soziolog*innen und den Praktiker*innen, da sehr verschiedene Interessenslagen und Ansichten in Einklang gebracht werden müssen.

Drittens gestaltet sich die Ergebnisverarbeitung anders, da in der Praxis weniger auf wissenschaftliche Publikationen abgezielt wird, sondern praxisbezogene Anleitungen und Handlungsempfehlungen in nicht-wissenschaftlicher Sprache von großer Bedeutung sind.

Wie sieht Ihr typischer Tag aus? 

Die meiste Zeit verbringe ich am Computer. Dabei geht es - je nach Projektphase (Bedarfsanalyse, Konzeption, Praxistest) - darum, Untersuchungsdesigns zu entwerfen, Personen für Befragungen zu gewinnen, Daten zu erheben und auszuwerten oder Konzeptpapiere und Ergebnisberichte zu schreiben. Natürlich werden auch Präsentationen und wissenschaftliche Publikationen erarbeitet.

Es existieren also Zeitabschnitte, in denen ich regelmäßig im Feld unterwegs bin und mit Praktikerinnen und Praktikern Interviews führe, Workshops veranstalte und auf Veranstaltungen teilnehmend beobachte (bzw. beobachtend teilnehme). Daneben gibt es wiederum Phasen, in denen ich für mich alleine Daten analysiere und Text schreibe.

Abgesehen davon werden regelmäßig Sitzungen in verschiedenen Projektgremien durchgeführt und es fallen Managementaufgaben (bspw. Controlling) und Öffentlichkeitsarbeit an.

Was sind die größten Herausforderungen? 

Eine große Herausforderung sind die Aushandlungen über Projektarbeit mit den nicht-wissenschaftlichen Akteurinnen und Akteuren. Es geht dabei um die Legitimierung bestimmter wissenschaftlicher Vorgehensweisen und Methoden, aber auch um die Synchronisation sehr verschiedener Erwartungen der Beteiligten.

Darüber hinaus finden sich oft Vorurteile gegenüber Wissenschaft, die in den Augen von Nicht-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern als abgehoben und praxisfern gilt. Als promovierter Soziologe habe ich daher gelernt, meinen Habitus anzupassen und eine gewisse, gemeinsame Augenhöhe herzustellen.

Die größte Herausforderung liegt darin, genau die Zielgruppe(n) zu erreichen, die von Praxisforschung am meisten profitieren würden. Oft melden sich für eine Projektmitarbeit diejenigen, die bereits Interesse am jeweiligen Thema haben und bereit sind, sich zu engagieren. Nehmen wir den vorliegenden Fall: Betriebe mit weniger guter Ausbildungsqualität, bei denen Ausbildungsverhältnisse oft aufgelöst werden, halten sich eher zurück und reagieren kaum auf die angebotenen Maßnahmen. Betriebe, die gut aufgestellt sind, beteiligen sich dagegen gerne an der Projektarbeit. Dies ist jedoch eine Herausforderung, die in der Praxisforschung schon lange diskutiert wird, und für die es keine Standardlösung gibt. 

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?

Besonders gut an meiner Arbeit gefallen mir zwei Dinge. Einerseits komme ich immer wieder in Kontakt “mit Gesellschaft”. Ich lerne, in Abhängigkeit vom jeweiligen Projekt, neue Gesellschaftsbereiche kennen und erhalte Einblick in die dortigen Strukturen und Phänomene. Aus einer ethnografischen Perspektive würde ich mich als Entdecker bzw. Erkunder anderer Stämme und Stammesgemeinschaften bezeichnen. Das klingt komisch, jedoch tauche ich als Soziologe - mehr oder weniger tief - in mir zunächst fremde Welten der Gesellschaft ein.

Andererseits gefällt mir der Gedanke, dass sich durch meine Arbeit etwas verändert, bestenfalls natürlich stark verbessert. Ich denke dabei an ein Projekt im Schwarzwald. Durch unser Projekt haben wir erreicht, dass sich ältere Menschen mit Digitaltechnik auseinandersetzen und deren Handhabung erlernen. Damit eröffnen sich ihnen neue Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, bspw. die Videotelefonie mit entfernt lebende Enkelinnen und Enkeln. Es ist uns gelungen, an der dortigen Volkshochschule Kurse für Ältere zu integrieren, die bis heute stattfinden. 

Was empfehlen Sie Studierenden, die sich für die Soziologie interessieren?

Zunächst bin ich der Meinung, dass Soziologie eine enorme Bandbreite an Berufsoptionen bietet. Soziologinnen und Soziologen können in vielen Bereichen arbeiten - auch außerhalb des Hochschulsystems. Gleichzeitig stehen Soziolog*innen damit vor der Qual der Wahl, da es oft keine dezidiert darauf ausgerichtete Arbeitsplatzbeschreibung gibt. Der Übergang von wissenschaftlicher Soziologie an einer Universität in eine konkrete praktische Arbeit mag daher schwer fallen. Vielmehr finden sich Stellenangebote mit Bezeichnungen, wie Projektmanager*in, Referent*in oder Evaluator*in. Insofern sollten Überlegungen angestellt werden, ob jemand an einer Universität bleiben möchte oder in welchem Bereich und mit welcher Spezialisierung eine Arbeit außerhalb der Hochschule angestrebt wird. Für diese Entscheidung jedoch bietet das Studium ausreichend Zeit und Gelegenheit.
 

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Veröffentlicht am: 03. März 2021